Dragon Sin: Roman (German Edition)
fühlte. So fühlte er sich, seit ein Bündel aus braunen Schwingen, Haaren und Klauen gegen die Burgwand neben seinem Zimmer geprallt war und die Ziegel, die Steine sowie sein inneres Gleichgewicht beschädigt hatte.
Ihre Zunge drang in seinen Mund ein, und ihre Hände zerrten an seiner Kleidung. Das hatte Vigholf nicht vorausgesehen, als er sie vor zehn Minuten angestarrt hatte. Er hatte vielleicht auf einen weiteren Kuss gehofft. Einen Kuss, den sie diesmal möglicherweise erwiderte. Einen, auf den sie reagierte. Aber das hier … das war noch besser. Und vollkommen überraschend. Vor allem weil es im Norden nicht so lief. Im Norden küsste man erst und vögelte später. Manchmal viel später. Die Frauen aus seiner Horde waren so gut beschützt, dass sie vor ihrer Inbesitznahme selten mehr als einen oder zwei Männer gehabt hatten. Für viele männliche Drachen bedeutete das, dass sie sich menschliche Gespielinnen suchen mussten, bis sie eine Drachin fanden, die bereit war, ihre Gefährtin zu werden. Aber der Werbungsprozess war relativ einfach, und Körperkontakt gab es erst, wenn die beiden einander versprochen waren. Wenn es mehr als einen Interessenten für die jeweilige Drachin gab – was häufig der Fall war –, fand zuvor noch etwas statt, das als »Die Ehre« bekannt war. Es war ein Kampf bis zum Tod – oder zumindest bis einer der Drachen alle anderen Bewerber bewusstlos geschlagen hatte –, sodass der übrig Bleibende den Preis für sich beanspruchen konnte. Allerdings hatte Die Ehre seit dem Tod von Vigholfs Vater nur noch selten in der Olgeirsson-Horde stattgefunden.
All das waren langwierige und komplizierte Schritte, die man unternehmen musste, um eine Drachin abzubekommen. Und zwar eine ganz einfache, gewöhnliche Drachin.
Dann waren die Cadwaladr-Frauen gekommen, und alles war anders geworden. Seit sie an der Seite der Nordländer gegen die Eisendrachen kämpften, waren die Clanfrauen dafür bekannt, dass sie mit jedem vögelten, der ihnen gefiel, und zwar wann immer sie es wollten. Nach einer besonders erregenden Schlacht packte eine Cadwaladr-Frau bisweilen einen ahnungslosen Nordländer und zerrte ihn irgendwo in einen stillen Alkoven. Das kam den Nordländer-Männern ganz und gar nicht ungelegen. Nur das, was danach folgte, gefiel ihnen meist nicht.
Wenn die Drachinnen mit den Männern fertig waren, wollten sie nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Wenn aber der Mann einen guten Eindruck hinterlassen hatte, sagte es die Drachin ihrer Sippe weiter, und plötzlich hatte der Mann in den Nächten zwischen den Schlachten sehr viel zu tun. Dagegen wäre nichts einzuwenden gewesen, hätten die Männer der Horde nicht den Hang gehabt, ihr Herz an die Frauen zu hängen. Nichts war schlimmer für einen von ihnen, als sich in den Schuppen einer Frau zu verlieren und am nächsten Morgen feststellen zu müssen, dass die Drachin nicht einmal mehr mit ihm reden wollte. Manchmal tat sie sogar so, als würde sie ihn gar nicht kennen. Dann konnte der Mann ein wenig aufdringlich werden. Und ein wenig fordernd. Vigholf hatte allerdings rasch gelernt, dass die Drachinnen gut aufeinander aufpassten. Wenn ein Drache zu aufdringlich oder fordernd wurde, fand er sich schnell auf der falschen Seite eines Cadwaladr-Angriffs wieder. Die Frauen nannten das liebevoll den »Kaffeeklatsch«. Das war nie schön, und danach war es schwer für den Mann, bei den eigenen Genossen seinen guten Ruf wiederherzustellen.
Vigholf hatte gesehen, wie Rhona einige solcher Angriffe im Namen ihrer Schwestern oder Cousinen angeführt hatte. Sie mochte keine aufdringlichen Männer, und deshalb hatte sich Vigholf immer zurückgehalten. Zumindest ein wenig. Auf alle Fälle war er nicht allzu aufdringlich geworden. Nur … ein bisschen. Aber bloß, um Rhona zu schützen.
Nun stellte sich für Vigholf die Frage, was er tun sollte, da Rhona in seinen Armen lag und ihren Menschenkörper an den seinen schmiegte. Sollte er sie von sich stoßen und zunächst herausfinden, ob ihre Gefühle über das Körperliche hinausgingen?
Vielleicht sollte er einfach den Mund halten und zulassen, dass sie ihn ihm Schritt packte, wie sie es gerade bereits tat.
Vigholf schloss die Augen und stieß einen Seufzer aus, als sich Rhona an seinem Kinn entlangküsste und schließlich ihre Stirn dagegenpresste.
Ja, alle guten Absichten mussten warten. Zumindest für eine Weile.
Mit geschlossenen Augen, nur noch flach atmend, spannte sich Vigholfs ganzer Körper
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