Drahtzieher - Knobels siebter Fall
auch ist, auf der die drei Herren stehen, setzt sich in den Hintergrund fort. Sie ist irgendwann nicht mehr sichtbar, und ich vermute, dass sie nach hinten abfällt, die Personen also an einem Hang oder an dessen oberem Abschluss stehen. Die Bäume oder die Sträucher, die im Vordergrund links stehen und von denen nur unscharf vorn einzelne Äste zu sehen sind, scheinen zu einem Wald oder Buschwerk zu gehören, das sich ebenfalls nach hinten fortsetzt. Ich folgere das aus dem Schatten, der auf die Wiese geworfen wird und sich nach hinten fortsetzt. Im Hintergrund sieht man einen Höhenzug. Er ist nur schwach in einer blassblauen Farbe zu erkennen. Vergleicht man diese mit den kräftigen leuchtenden Farbtönen im Vordergrund, muss der Höhenzug recht weit entfernt sein. Es spricht vieles dafür, dass sich zwischen dem Hang oder Hügel, auf dem sich die Wiese befindet, und dem Höhenzug im Hintergrund ein weites Tal erstreckt. Schaut man genauer auf den Hintergrund, erkennt man schemenhaft ein größeres Gebäude auf dem Bergrücken. Es könnte, da es sich offensichtlich nicht um eine Ortschaft handelt, so etwas wie eine Kirche, ein Kloster oder eine Burg sein. Zum Zeitpunkt der Aufnahme herrschte offensichtlich in der Ferne Dunst. Wir werden die Konturen des Gebäudes auf dem Foto nicht schärfer bekommen. – Aber mir kommt das Motiv irgendwie bekannt vor«, sagte er schließlich. »Irgendwoher kenne ich das Gebäude im Hintergrund. Obwohl wir nur schemenhaft die Umrisse erkennen können.«
»Vielleicht ist es eine Sehenswürdigkeit«, meinte Hermann van Eyck. »Ein Gebäude, dessen Umrisse einem irgendwie vertraut vorkommen, weil man es immer wieder sieht, es aber noch nie gezielt betrachtet hat.« Er stand auf, studierte das Bild und nahm wieder Platz.
»Ich glaube eher, dass es eine Burg ist«, vermutete er, »eine Kirche wäre gedrungener, aber ich bin mir nicht sicher. – Was meinst du, Anne?«
Seine Frau zuckte mit den Schultern.
»Werfen Sie bitte noch einen zweiten Blick auf den Vordergrund«, fuhr Wanninger fort, »und zwar im Wortsinne auf den vorderen Bildrand, ganz unten!«
Er tippte mit dem Zeigefinger auf die beschriebene Stelle, und das aufgehängte Foto zitterte ein wenig.
»Es ist kaum erkennbar«, sagte er, seiner eigenen Beobachtungsgabe Lob zollend.
»Ganz vorn erkennt man, nur hauchdünn und nach rechts verschwindend, eine silberne Linie, die ebenfalls etwas unscharf ist, aber im Farbton eine – sagen wir – marmorne Struktur aufweist. Kurzum: Es handelt sich, da bin ich mir sicher, um eine Leitplanke an einer Straße, die bekanntlich zumeist verzinkt ist und deshalb dieses Aussehen aufweist. Also: Wir sehen drei Männer jenseits der Leitplanke einer Straße auf einer Wiese stehen, am Rand eines Waldes oder größerer Sträucher, vor dem Panorama einer weiten Landschaft, in deren Hintergrund sich irgendeine singuläre Baulichkeit befindet, die über ihre Silhouette wahrscheinlich zu identifizieren ist.«
Er hielt inne und wandte sich um, als wollte er seine Zuhörer ermuntern, Fragen zu stellen, aber alle blieben still.
»Nun zu den Männern«, hob Wanninger erneut an und konzentrierte sich auf das Wesentliche.
»Sie müssen genau hinsehen«, sagte er, »wegen der ungünstigen Fotografierposition erkennt man die Details wirklich erst beim zweiten intensiven Betrachten. Der in der Mitte ist unverkennbar ein Asiate. Man sieht recht deutlich seine fernöstlichen Gesichtszüge, einen schwarzen Schnäuzer und das schwarze glatte Haar. Er trägt eine schwarze Hose, ein weißes Hemd und darüber eine schwarze Weste. Von seinem Unterkörper ist nicht viel sichtbar. Vor ihm befindet sich ein schwarzer Koffer, dessen aufgeklappter Deckel mit seinem Rücken zum Betrachter weist. Der Koffer steht auf irgendeinem Gegenstand, vielleicht einem Hocker, Klappstuhl oder sonstigem Gestell. Es lässt sich nicht genau feststellen, weil dieser Gegenstand offensichtlich vollständig in das hohe Gras eintaucht. Viel wichtiger ist natürlich der Koffer, dessen Inhalt uns aber leider verborgen bleibt. Links von dem Asiaten, dessen Alter ich nicht schätzen kann, steht der zweite Mann, bekleidet mit einem grauen Anzug. Er steht seitwärts zum Fotografen, sodass wir im Wesentlichen nur sein Profil erkennen können. Er beugt sich jedoch etwas vor, und zwar in Richtung des geöffneten Koffers, in den er hineinsieht. Immerhin hält er das Gesicht etwas nach vorn gedreht, sodass es gelingen könnte, diesen Mann zu
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