Dramen
Bühne ist finster bis auf einen Lichtstrahl, der von links durch die Türspalte dringt. – Alwa und Schigolch kriechen auf allen Vieren aus ihrem Verschlag.
Alwa
Sie sind drin.
Schigolch
hinter ihm
Warte noch!
Alwa
Hier hört man nichts.
Schigolch
Das hat man doch oft genug gehört!
Alwa
Ich will vor ihrer Türe knien.
Schigolch
Dieses Muttersöhnchen!
Er drückt sich an Alwa vorbei, tappt über die Bühne, nimmt Mr. Hopkins' Havelock vom Stuhl und durchsucht die Taschen.
Alwa hat sich vor Lulus Kammertür geschlichen.
Schigolch
Handschuhe – sonst nichts!
(Er kehrt den Havelock um, durchsucht die inneren Taschen und zieht ein Buch heraus, das er an Alwa gibt)
Sieh mal nach, was das ist!
Alwa
hält das Buch in den Lichtstrahl, der durch die Tür dringt, und entziffert mühsam das Titelblatt
Lessons for those – who are – and those who want to be – Christian Workers – with a preface by Rev. W. Hay. M. H. – Very helpful. – Price three shillings six.
Schigolch
Der scheint ganz von Gott verlassen zu sein.
(Legt den Mantel über den Stuhl und tastet sich nach dem Verschlag zurück)
Es ist nichts hier in London. Die Nation hat ihre Glanzzeit hinter sich.
Alwa
Das Leben ist nie so schlimm, wie man es sich vorstellt.
(Er kriecht ebenfalls nach dem Verschlag zurück.)
Schigolch
Nicht einmal ein seidenes Foulard hat der Kerl! Und dabei kriechen wir in Deutschland vor dem Pack auf dem Bauch!
Alwa
Laß uns wieder verschwinden. Vielleicht gibt er ihr beim Abschied noch was.
Schigolch
Sie denkt an nichts als an ihr Vergnügen und nimmt den ersten, der ihr in den Weg läuft. Hoffentlich vergißt der Hund sie zeit seines Lebens nicht.
Schigolch und Alwa verkriechen sich in ihr Kämmerchen und schließen die Tür hinter sich. Darauf kommt Lulu mit Mr. Hopkins aus ihrer Kammer. Sie setzt die Lampe auf den Blumentisch, während Mr. Hopkins sie sinnend betrachtet.
Lulu
Do you think to come again?
Mr. Hopkins hält ihr den Mund zu.
Lulu etwas verklärt, blickt in einer Art Verzweiflung gen Himmel und schüttelt den Kopf.
Mr. Hopkins hat seinen Havelock übergeworfen und nähert sich ihr mit grinsendem Lächeln. Sie wirft sich ihm an den Hals, worauf er sich sachte losmacht, ihr die Hand küßt und sich zur Türe wendet. Sie will ihn begleiten, er winkt ihr aber zurückzubleiben und verläßt geräuschlos das Gemach. Schigolch und Alwa kommen aus ihrem Verschlag.
Lulu
Hat mich der Mensch erregt!
Alwa
Wieviel hat er dir gegeben?
Lulu
Fünfzehn Schillinge. Hier sind sie! Nimm sie! Ich gehe wieder hinunter.
Schigolch
Wir können noch wie die Prinzen hier oben leben.
Alwa
Er kommt zurück.
Schigolch
Dann laß uns nur gleich wieder abtreten.
Alwa
Er sucht sein Gebetbuch; hier ist es. Es muß ihm aus dem Mantel gefallen sein.
Lulu
aufhorchend
Nein, das ist er nicht. Das ist jemand anders.
Alwa
Es kommt jemand herauf. Ich höre es ganz deutlich.
Lulu
Jetzt tappt jemand an der Tür. – Wer mag das sein?
Schigolch
Wahrscheinlich ein guter Freund, dem er uns empfohlen hat. – Herein!
Die Gräfin Geschwitz tritt ein. Sie ist in ärmlicher Kleidung und trägt eine Leinwandrolle in der Hand.
Die Geschwitz
Wenn ich dir ungelegen komme, dann kehre ich wieder um. Ich habe allerdings seit zehn Tagen mit keiner menschlichen Seele gesprochen. Ich muß dir nur gleich sagen, daß ich kein Geld bekommen habe. Mein Bruder hat mir gar nicht geantwortet.
Schigolch
Jetzt möchten gräfliche Gnaden gerne ihre Füße unter unsern Tisch strecken?
Lulu
Ich gehe wieder hinunter!
Die Geschwitz
Wo willst du in dem Aufzug hin? – Ich komme trotzdem nicht mit ganz leeren Händen. Ich bringe dir etwas anderes. Auf dem Wege hierher am Leicester Square bot mir ein Trödler noch zwölf Schillinge dafür. Ich brachte es nicht übers Herz, mich davon zu trennen. Aber du kannst es verkaufen, wenn du willst.
Schigolch
Was haben Sie denn da?
Alwa
Lassen Sie doch mal sehen.
(Er nimmt ihr die Leinwandrolle ab und entrollt sie)
Ach ja, mein Gott, das ist ja Lulus Porträt!
Lulu
aufschreiend
Und das bringst du Ungeheuer hierher? Schafft mir das Bild aus den Augen! Werft es zum Fenster hinaus!
Alwa
Warum nicht gar! Diesem Porträt gegenüber gewinne ich meine Selbstachtung wieder. Es macht mir mein Verhängnis begreiflich. Alles wird so natürlich, so selbstverständlich, so sonnenklar, was wir erlebt haben. Wer sich diesen blühenden schwellenden Lippen, diesen großen unschuldsvollen
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