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Dramen

Titel: Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Wedekind
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die Behauptung zu verwahren, daß jene Änderung des Schlusses von mir herrührte. Eines Tages erhielt ich aus Berlin folgendes Telegramm:
    »Bitten um Erlaubnis, Schluß von Kammersänger abändern zu dürfen, da sonst genötigt, Stück vom Spielplan abzusetzen.«
    Da ich gerade wegen einer Lungenentzündung zu Bett lag und mir die Aufführungen des Stückes deshalb ziemlich wichtig waren, telegraphierte ich zurück: »Mit allem einverstanden.« Ich selber aber habe den abgeänderten Schluß weder gesehen noch gelesen. Ich kenne ihn nur vom Hörensagen. Dagegen habe ich manche andere Aufführung vom »Kammersänger« gesehen, in der ich mich allerdings ganz verblüfft fragte, aus welchem Beweggrund ich denn eigentlich eine so kraft- und saftlose Posse geschrieben haben könnte. Die Brutalität meines Kammersängers war in Albernheit, seine Intelligenz war in das entgegengesetzte Gegenteil, in eine übernatürliche Dummheit verkehrt. Und jeder Gedanke, um dessentwillen ich das Stück zu Papier gebracht hatte, war mit unerbittlicher schauspielerischer Routine weggestrichen, so daß Helene Marowa zweifellos mehr verdreht als verliebt erschien, wenn sie sich eines solchen Laffen wegen das Leben nahm.
    Ich möchte nun diese Gelegenheit auch noch dazu wahrnehmen, um gegen jeden, auch den geringsten Strich in diesem Stücke ausdrücklich zu protestieren, auch auf die Gefahr hin, daß der »Kammersänger« daraufhin für alle Zeiten von der deutschen Bühne verschwindet.
    Sollte sich aber trotz dieses Protestes noch ein Darsteller für meinen Gerardo interessieren, dann will ich ihm hier verraten, was zu dessen Verkörperung nötig ist: Tempo, Leidenschaftlichkeit und Intelligenz , drei Eigenschaften, die noch keinem Berufsschauspieler zur Schande gereicht haben.
    München, im Juli 1909
    Frank Wedekind

Szenerie
    Salonähnliches Zimmer im Hotel. Mitteltür, Seitentüren. Links vorn ein Fenster mit schweren, geschlossenen Gardinen. Rechts ein Flügel. Hinter dem Flügel ein japanischer Paravent, der den Kamin deckt. Große, offene Koffer stehen umher, riesige Lorbeerkränze liegen über die Fauteuils gelehnt. Eine Unmenge Blumenbuketts stehen im Zimmer verteilt. Ein Stoß Buketts liegt aufeinandergeschichtet auf dem Flügel.
    Rechts und links vom Zuschauer aus.
Erster Auttritt
    Ein Hoteldiener, dann ein Liftjunge
    Der Bediente
(kommt mit einem Arm voll Kleider aus dem Nebenzimmer und packt sie in einen der großen Koffer. Da es klopft, sich aufrichtend:)
Na? – –Herein!
    Ein Liftjunge:
    Es ist ein Frauenzimmer unten, ob der Herr Kammersänger zu Hause sei.
    Der Bediente:
    Ist nicht zu Hause.
    Der Liftjunge ab.
    Der Bediente
geht ins Nebenzimmer und kommt mit einem Arm voll Kleider zurück. Da es klopft, die Kleider weglegend und zur Tür gehend:
    Na, wer ist denn das wieder?
(Öffnet die Tür und nimmt drei oder vier große Buketts entgegen, kommt damit nach vorn und legt sie vorsichtig auf den Flügel; macht sich wieder daran, den Koffer zu packen; es klopft, er geht zur Tür und öffnet, nimmt eine Handvoll Briefe in allen Farben in Empfang, kommt damit nach vorn und mustert die Adressen.)
»Mister Gerardo,« – »Herrn Kammersänger.« – »Monsieur Gerardo.« – »Gerardo Esqu.« – »Hochwohlgeboren Herrn,« Das ist das Kammermädchen! – »Herrn k. k. Kammersänger.« –
(Legt die Briefe in eine Schale und packt weiter.)
Zweiter Auftritt
    Gerardo, der Hoteldiener, später der Liftjunge
    Gerardo:
    Sie haben noch nicht fertig gepackt? – Wie lange brauchen Sie denn zum Packen?
    Der Bediente:
    Gleich bin ich fertig, Herr Kammersänger.
    Gerardo:
    Aber rasch. Ich habe noch zu tun. Lassen Sie sehen.
(In einen der Koffer langend)
. Du barmherziger Himmel! Wissen Sie nicht, wie man eine Hose zusammenlegt?
(Das Kleidungsstück herausnehmend)
. Nennen Sie das Packen? – Sehen Sie, da können Sie noch was lernen von mir. Sie müßten das doch besser wissen als ich. So nimmt man eine Hose. Dann hakt man hier oben zu. Dann nimmt man diese beiden Knöpfe. Sehen Sie diese Knöpfe hier, auf die kommt es an; dann – – zieht man die Hose straff. So! So! – Und dann legt man sie in – zwei – – Teile – zusammen. Sehen Sie, so! So behält die Hose ihre Fasson, und wenn sie hundert Jahre alt wird!
    Der Bediente
sehr ehrfurchtsvoll, mit niedergeschlagenen Augen:
    Herr Kammersänger sind ja vielleicht einmal Schneider gewesen.
    Gerardo:
    Was?! – Das gerade nicht – Dummkopf!!
(Ihm die Hose gebend.)
Da, packen Sie

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