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Dramen

Titel: Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Wedekind
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beruht auf Gegenseitigkeit, mein Herr. Diese Leute kommen in Betracht . Irgend etwas muß man sein. Nennen Sie mir doch einen berühmten Mann, der nicht in Betracht gekommen wäre! Wenn man nicht Komponist ist, dann ist man eben etwas anderes und braucht deswegen noch nicht unglücklich zu sein. Ich war, bevor ich Wagnersänger wurde, auch etwas anderes, worin mir niemand meine Tüchtigkeit bemängeln durfte und womit ich vollkommen zufrieden war. Das hängt nicht von uns ab, wofür wir in dieser Welt bestimmt sind. Da könnte jeder kommen! Wissen Sie, was ich war, bevor man mich entdeckte? – Ich war Tapeziergehilfe. Sie wissen, was das ist? Geste. Ich klebte die Tapeten an die Wände – mit Kleister. Ich mache vor niemandem ein Geheimnis aus meiner niedrigen Herkunft. Nun denken Sie sich einmal, wenn ich mir nun als Tapeziergehilfe hätte in den Kopf setzen wollen, durchaus Wagnersänger zu werden! – Wissen Sie, was man mit mir getan hätte?
    Dühring:
    Man hätte Sie ins Irrenhaus gesteckt.
    Gerardo:
    Und mit vollem Recht. Wer sich nicht mit dem begnügt, was er ist, der bringt es seiner Lebtag zu nichts. Ein gesunder Mensch tut das, worin er Glück hat; hat er Unglück, dann wählt er einen anderen Beruf. Sie führen das Urteil Ihrer Freunde an. Es ist nicht schwer, Anerkennungen zu erhalten, die demjenigen, der sie ausstellt, nichts kosten. Ich bin seit meinem fünfzehnten Jahre für jede Arbeit bezahlt worden und hätte es mir zur Schande angerechnet, wenn ich irgend etwas umsonst hätte tun müssen. – Fünfzig Jahre fruchtlosen Ringens! Das müßte doch den Starrköpfigsten von der Unmöglichkeit seiner Träume überzeugen. Was haben Sie denn dann von Ihrem Leben genossen? Sie haben es sündhaft vergeudet! – Ich habe nie etwas Außergewöhnliches angestrebt; aber das eine kann ich Ihnen versichern, mein Herr, daß ich seit meiner frühesten Kindheit nicht so viel Zeit übrig gehabt habe, um acht Tage auf der Straße zu stehen. Und wenn ich denke, daß ich als alter Mann dazu gezwungen sein sollte – ich spreche nur für meine Person – aber ich kann mir nicht vorstellen, wo ich dann den Mut hernehmen wollte, jemandem unter die Augen zu treten.
    Dühring:
    Mit einer solchen Oper in der Hand! – Ich tue es ja nicht für mich, ich tue es für meine Kunst .
    Gerardo
hohnlachend:
    Sie überschätzen die Kunst, mein verehrter Herr! Lassen Sie sich von mir sagen, daß die Kunst ganz etwas anderes ist, als was man sich in den Zeitungen darüber weismacht.
    Dühring:
    Sie ist mir das Höchste auf Erden!
    Gerardo:
    Die Ansicht besteht nur bei Leuten wie Sie , die ein Interesse daran haben, diese Ansicht zur Geltung zu bringen. Sonst glaubt Ihnen kein Mensch daran! – Wir Künstler sind ein Luxusartikel der Bourgeoisie, zu dessen Bezahlung man sich gegenseitig überbietet. Wenn Sie recht hätten, wie wäre denn dann zum Beispiel eine Oper wie die »Walküre« möglich, die sich um Dinge dreht, deren Bloßstellung dem Publikum in tiefster Seele zuwider ist. Singe ich aber den Siegmund , dann führen die besorgtesten Mütter ihre dreizehn- und vierzehnjährigen Töchterchen hinein. Und ich auf der Bühne habe auch die absolute Gewißheit, daß nicht ein Mensch im Zuschauerraum mehr auf das achtet, was bei uns oben gespielt wird. Wenn die Menschen darauf achteten, würden sie hinauslaufen. Das haben sie getan, solange die Oper neu war. Jetzt haben sie sich daran gewöhnt, es zu ignorieren . Sie bemerken es so wenig, wie sie die Luft bemerken, die sie von der Bühne trennt. Das, sehen Sie, ist die Bedeutung dessen, was Sie Kunst nennen ! Dem haben Sie fünfzig Jahre Ihres Lebens geopfert! Wir Künstler hingegen haben die Aufgabe, uns Abend für Abend dem zahlenden Publikum unter diesem oder jenem Vorwand zu produzieren. Das Interesse klammert sich an unser Privatleben ebenso krampfhaft wie an unser Auftreten: Man gehört mit jedem Atemzuge dem Publikum ; und weil wir uns für das Geld dazu hergeben, weiß man nie, ob man uns höher vergöttern oder tiefer verachten soll. Erkundigen Sie sich, wie viele gestern im Theater waren, um mich singen zu hören, und wie viele, um mich anzugaffen , wie sie den Kaiser von China angaffen würden, wenn er morgen hierherkäme. Wissen Sie, was die künstlerischen Bedürfnisse des Publikums sind? Bravo zu rufen, Blumen und Kränze zu werfen, Unterhaltungsstoff zu haben, sich sehen zu lassen. Ah und Oh zu sagen, auch mal Pferde auszuspannen – das sind die reellen Bedürfnisse,

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