Dramen
Menschen den Weg vertreten lassen! – Er steht wohl unten, damit ich nicht zu dir kann?!
Gerardo
ist aufgesprungen:
Helene!
Helene:
Du wußtest ja, daß ich kommen werde!
Der Hoteldiener
in der offengebliebenen Tür, sich die Backe haltend:
Ich habe getan, was ich konnte, Herr Kammersänger, aber die Dame hat mich …
Helene:
Geohrfeigt!
Gerardo:
Helene!
Helene:
Ich soll mich wohl insultieren lassen?!
Gerardo
zum Hoteldiener:
Gehen Sie.
Der Hoteldiener ab.
Helene
legt ihren Muff in den Polstersessel:
Ich kann nicht mehr ohne dich leben. Entweder nimmst du mich mit oder ich gehe in den Tod.
Gerardo:
Helene!
Helene:
Ich gehe in den Tod! Du zerschneidest mir die Lebensnerven, wenn du dich von mir trennst. Ich bin ohne Hirn und Herz. Einen Tag wie gestern, einen ganzen Tag, ohne dich zu sehen, das überlebe ich nicht mehr. Dazu bin ich nicht stark genug. Ich bitte dich, Oskar, nimm mich mit! Ich bitte dich um mein Leben!
Gerardo:
Ich kann nicht.
Helene:
Du kannst, was du willst! Wie wolltest du das nicht können! Du kannst dich nicht von mir trennen, ohne mich zu töten. Das sind keine Worte; ich drohe dir damit nicht; es ist so! Ich weiß es so bestimmt, wie ich mein Herz hier fühle: Ich bin tot, wenn ich dich nicht mehr habe. Deshalb nimm mich mit! Es ist deine Menschenpflicht! Sei es nur auf kurze Zeit.
Gerardo:
Ich gebe dir mein Ehrenwort, Helene, ich kann es nicht. – Ich gebe dir mein Ehrenwort darauf.
Helene:
Du mußt es tun, Oskar! Ob du es kannst oder nicht, du mußt die Folgen deiner Handlungen tragen. Ich hänge an meinem Leben, und du und mein Leben sind eins. Nimm mich mit, Oskar! Nimm mich mit, wenn du mein Blut nicht vergießen willst!
Gerardo:
Erinnerst du dich an das, was ich dir am ersten Tage in diesen vier Wänden sagte?!
Helene:
Ja, ja! – Was hilft mir das?
Gerardo:
Daß von Gefühlen zwischen uns nicht die Rede sein kann?
Helene:
Was hilft mir das! Kannte ich dich denn?! Ich habe ja nicht gewußt, was ein Mann sein kann, ehe ich dich kannte! Du hast es gewußt, daß es so kommen werde! Du hättest mir sonst vorher das Versprechen nicht abgenommen, dir keine Abschiedsszene zu machen. Und was hätte ich dir denn nicht versprochen, wenn du es verlangt hättest! – Mein Versprechen bringt mich um. Du hast mich um mein Leben betrogen, wenn du mich zurückläßt!
Gerardo:
Ich kann dich nicht mitnehmen!
Helene:
O Gott, das wußte ich im voraus, daß du das sagen wirst. Das wußte ich ja, als ich hierherkam. Das ist so selbstverständlich! Das sagst du jeder. Und was bin ich Besseres! Ich bin eine von Hunderten. Ich bin ein Weib, wie es Millionen gibt. Das weiß ich ja alles. – Aber ich bin krank, Oskar! Ich bin krank auf den Tod! Ich bin liebeskrank! Ich bin dem Tode näher als dem Leben! Das ist dein Werk, und du kannst mich retten, ohne ein Opfer zu bringen, ohne dir etwas aufzubürden. Warum kannst du es nicht!
Gerardo
jedes Wort betonend:
Weil mein Kontrakt mich verpflichtet, mich weder zu verheiraten noch in Begleitung von Damen zu reisen.
Helene
perplex:
Wer kann dir das verbieten!
Gerardo:
Mein Kontrakt.
Helene:
Du darfst …?
Gerardo:
Ich darf mich nicht verheiraten, bevor seine Gültigkeit abgelaufen ist.
Helene:
Und darfst …?
Gerardo:
Und darf nicht in Begleitung von Damen reisen.
Helene:
Das ist mir unverständlich. – Wen auf der Welt kann das kümmern?
Gerardo:
Meinen Unternehmer.
Helene:
Deinen Unternehmer? – Was kommt denn für den dabei in Frage?
Gerardo:
Sein Geschäft.
Helene:
Weil es vielleicht – deine Stimme – beeinflussen könnte?
Gerardo:
Ja.
Helene:
Das ist doch kindisch! – Beeinflußt es denn deine Stimme?
Gerardo:
Nein.
Helene:
Glaubt denn dein Unternehmer an diesen Unsinn?
Gerardo:
Nein, er glaubt nicht daran.
Helene:
Das ist mir unverständlich. – Ich begreife nicht, wie ein – – anständiger Mensch einen solchen Kontrakt unterschreiben kann!
Gerardo:
Ich bin in erster Linie Künstler, und dann bin ich Mensch!
Helene:
Ja, das bist du. Ein großer Künstler! Ein eminenter Künstler! Begreifst du denn nicht, wie ich dich lieben muß! Ist denn das das einzige, was du kluger Mensch nicht begreifen kannst! – Alles, was mich jetzt dir gegenüber verachtenswert erscheinen läßt, entspringt doch nur der Tatsache, daß ich in dir den einzigen mir überlegenen Menschen sehe, den ich bis jetzt gefunden und dem zu gefallen mein einziges Trachten war. Ich habe die Zähne
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