Dramen
die ich befriedige. Wenn man mich mit einer halben Million bezahlt, so setze ich dafür eine Legion von Droschkenkutschern, von Schriftstellern, von Putzmacherinnen, von Blumenzüchtern, von Bierwirten in Brot. Das Geld kommt in Umlauf. Das Blut kommt in Umlauf. Die jungen Mädchen verloben sich, die alten Jungfern verheiraten sich, die Gattinnen fallen dem Hausfreund zum Opfer, und die Großmütter bekommen eine Unmenge Stoff zum Klatschen. Unglücksfälle und Verbrechen geschehen. An der Kasse wird ein Kind totgetreten, einer Dame wird das Portemonnaie gestohlen, ein Herr im Theater wird vom Wahnsinn befallen. Dadurch verdienen die Ärzte, die Advokaten… –
(Bekommt einen Hustenanfall.)
Und dabei soll ich morgen in Brüssel den »Tristan« singen! – – Ich erzähle Ihnen das alles nicht aus Eitelkeit, sondern um Sie von Ihrem Wahn zu heilen. Der Maßstab für die Bedeutung eines Menschen ist die Welt und nicht die innere Überzeugung, die man sich durch jahrelanges Hinbrüten aneignet. Ich habe mich auch nicht auf den Markt gestellt; man hat mich entdeckt. Es gibt keine verkannten Genies . Wir sind nun einmal nicht die Herren unseres Geschickes; der Mensch ist zum Sklaven geboren!
Dühring
der in seiner Partitur geblättert hat:
Hören Sie sich bitte noch die erste Szene vom zweiten Akt an. Eine Parklandschaft, wissen Sie, wie auf dem berühmten Bild: Embarquement pour Cythère…
Gerardo:
Aber ich sage Ihnen ja, daß ich keine Zeit habe! Und was soll ich denn aus diesen paar abgerissenen Szenen ersehen?
Dühring
langsam seine Partitur zusammenpackend:
Sie beurteilen mich doch wohl nicht ganz richtig, mein Herr. So unbekannt wie Ihnen bin ich doch der übrigen Welt nicht. Man kennt und nennt mich. Sie finden mich auch oft genug von Wagner selber in seinen Schriften erwähnt. Und, sehen Sie, wenn ich heute sterbe, werde ich morgen aufgeführt. Das ist so sicher, wie meine Musik ihren Wert behalten wird. Mein Berliner Verleger schreibt mir auch jeden Tag: Warum sterben Sie denn nun nicht endlich mal!
Gerardo:
Ich kann Ihnen nur das eine sagen, daß seit Wagners Tod noch nirgends ein Bedürfnis nach neuen Opern besteht. Mit neuer Musik haben Sie von vornherein sämtliche Kunstinstitute, sämtliche Künstler und das gesamte Publikum zu Feinden . Wenn Sie an die Bühne gelangen wollen, dann schreiben Sie eine Musik, die der heutigen zum Verwechseln ähnlich sieht; kopieren Sie einfach; stehlen Sie Ihre Oper aus allen Wagnerschen Opern zusammen. Dann können Sie mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit darauf rechnen, daß Sie aufgeführt werden. Mein Bombenerfolg von gestern beweist Ihnen, daß die alte Musik noch auf Jahre hinaus vorhält. Und darin denke ich nicht anders als jeder andere Künstler, als jeder Intendant und als das gesamte zahlende Publikum: Warum soll ich mir unnötigerweise Ihre neue Musik einprügeln lassen, nachdem mich die alte so unmenschliche Prügel gekostet hat?!
Dühring
reicht ihm seine zitternde Hand:
Ich fürchte nur, daß ich zu alt dazu bin, um noch stehlen zu lernen. Mit so was muß man als junger Mann anfangen, sonst lernt man es nie.
Gerardo:
Seien Sie nicht beleidigt. – Aber – mein verehrter Herr – wenn ich Ihnen – der Gedanke, daß Sie mit dem Leben zu kämpfen haben – Sehr rasch . Ich habe nämlich aus Zufall fünfhundert Mark zuviel bekommen …
Dühring
der ihn groß angesehen hat, sich plötzlich zur Tür wendend:
Nein, nein, ich bitte, nein. – Sprechen Sie das nicht aus. – Nein, nein, nein! Dazu bin ich nicht hergekommen. – Nein, nein! – Wissen Sie, es hat mal ein großer Weiser gesagt: – Gutmütig sind sie alle ! – Nein, Herr Kammersänger – ich habe Ihnen die Oper da nicht vorspielen wollen, um eine – Erpressung zu üben. Dazu ist mir mein Kind zu lieb. – Nein, Herr Kammersänger …
Durch die Mitte ab.
Gerardo
der ihn zur Tür geleitet:
O bitte. – War mir sehr angenehm.
Achter Auftritt
Gerardo
allein, kommt zurück und sinkt, dem Champagnerkorb gegenüber, in einen Sessel, die Champagnerflaschen betrachtend:
Für wen raffe ich all das Geld zusammen? – Für meine Kinder? – Wenn ich Kinder hätte! – Für meine alten Tage? – Wenn ich in zwei Jahren nicht aufgebraucht bin! – Dann heißt es:
»Denn ach, denn ach, vergessen ist das Steckenpferd!«
Neunter Auttritt
Gerardo, Helene Marowa, dann der Hoteldiener
Helene
blendende Schönheit, zwanzig Jahre, Straßentoilette, Muff; sehr erregt:
Ich werde mir von dem
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