Dramen
mich mitten in den Saal und rufe: Der Mensch ist wahnsinnig! Der Mensch ist wahnsinnig!
(Er eilt hinaus, die Tür hinter sich offen lassend.)
MRS. GRANT
nähert sich sehr langsam der Tür.
– – Soll ich nicht auch gehen in die Saal? – – No! Ich nicht liebe verrückte Volk! – – Jetzt – ich höre Stimme von Morosini! – Ich nicht verstehe. –
(Sich die Ohren zuhaltend.)
A-oh! Geschrei! Geschrei! Was ist los?!
Für einen Augenblick ertönt aus der Entfernung dumpfes Brüllen und Toben. Nachdem es verstummt ist, tritt Launhart hastig ein. Gellinghausen folgt ihm. Launhart nimmt Hut, Schirm und Überrock vom Kleiderrechen und zieht sich an.
LAUNHART.
Hätte ich geahnt, daß sich Hetmann im entscheidenden Augenblick für wahnsinnig erklären läßt, dann hätte ich die Versammlung vielleicht gar nicht veranstaltet! Kommen Sie doch nachher noch ins Café und erzählen Sie mir, was die Versammlung für ein Ende genommen hat!
GELLINGHAUSEN.
Ich bleibe nur so lange hier, bis Hetmann, wenn er mit dem Leben davon kommt, vor dem rasenden Pöbel in Sicherheit gebracht ist.
LAUNHART.
Der kommt schon davon! Also nicht wahr, Sie kommen dann? Meine Frau ist auch im Café!
(Rasch ab.)
MRS. GRANT.
Haben Sie nicht gehört, was hat gesagt Mister Morosini?
GELLINGHAUSEN.
Sein Erscheinen wirkte, wie wenn ein Kamel in einen Ameisenhaufen tritt. Die Prügelei war schon im Gang. Hetmann lag am Boden. Aber Morosinis Gebrüll verschlang das tausendstimmige Chaos, wie ein Hund eine Fliege verschluckt. Man ließ Hetmann liegen und jauchzte Morosini zu. – Ich bin heute abend der einzige, der sich an das feierlich von ihm gegebene Versprechen gehalten hat; und ich bin vollkommen sicher, daß man mich deshalb wieder der niederträchtigsten Verräterei bezichtigen wird! Was soll ich tun?! – Gott sei Dank, da kommt jemand!
Von Brühl tritt ein.
VON BRÜHL
zu Gellinghausen.
Gehen Sie doch rasch in den Saal. Fräulein Fanny hat eben einen Schlag mit einem Stuhlbein über den Kopf bekommen. Wir bringen derweil Hetmann hierher. Es ist schon ein Arzt bei ihr; aber sorgen Sie doch dafür, daß sie nach Hause gebracht wird.
GELLINGHAUSEN.
Selbstverständlich! Wenn ich nur nicht schon zu spät komme!
(Ab.)
Von Brühl hält die Tür geöffnet. Zwei Schutzleute führen Hetmann, den sie vorn am Rockärmel gepackt halten, mit Gewalt herein. Sein Gesicht ist blutbefleckt; er sucht sich mit aller Gewalt loszureißen. Ihnen folgt ein Polizeileutnant, der sich mit dem Rücken gegen die geschlossene Tür stellt. Berta, von Brühl.
HETMANN.
Lassen Sie mich zurück! Lassen Sie mich zurück! Eben sah ich vor mir ein anderes Menschenkind um meinetwillen halbtot zusammenbrechen!
DER POLIZEILEUTNANT
möglichst höflich.
Geben Sie doch endlich den Widerstand gegen die Staatsgewalt auf, mein Herr.
VON BRÜHL.
Fräulein Fanny wird nach Hause gebracht.
BERTA.
Lassen Sie sich nur das Blut abwaschen.
DER POLIZEILEUTNANT.
Jetzt freilassen!
Die Schutzleute haben Hetmann zu einem Stuhl links vorn geführt und ziehen sich zurück, von Brühl holt Wasser am Büfett; Berta reinigt Hetmanns Gesicht. Morosini tritt ein, noch in derselben Aufregung wie vorher.
MOROSINI
zum Polizeileutnant.
Haben Sie ihn in Sicherheit?
DER POLIZEILEUTNANT.
Dem Herrn geschieht nichts mehr!
MOROSINI
nach vorn kommend.
Dieser Zwergriese! Eine neue Moral will er gründen und ist zu zart, einen Rippenstoß zu erwidern!
(Zum Polizeileutnant.)
Ich frage Sie, hätte der Mensch nicht wirklich verdient, totgeschlagen zu werden?! Das eherne Fundament, die Familie, macht er zum Gegenstand seines Spottes! Nein, nicht die Familie! Die Unberührtheit des jungen Weibes! Die nennt der Zwergriese eine schmachvolle Spekulation! Die nennt er ein jeder sittlichen Bewertung unwürdiges Sklavenmerkmal! Die nennt er die Vergötterung der Selbstverachtung! Das war das seit Erschaffung der Welt noch nicht Dagewesene! Damit wollte er die heutige Versammlung zum Totschlag reizen! Das war das Wort, das, einmal ausgesprochen, in den Ohren der Menschen nicht mehr verstummen sollte!
HETMANN.
Oh, wo finde ich ein Mittel gegen die Höllenqualen in meiner Seele!
MOROSINI.
Schweigen Sie! Sie haben genug geredet! Jetzt rede ich! Ich, Pietro Alessandro Morosini, werde dafür sorgen, daß nicht ein Hauch von Ihrer Wahnsinnsmoral bestehen bleibt! Ihnen sollte die ganze Schöpfungspracht dafür büßen, daß Sie als Krüppel geboren sind! Weil Sie zu schlecht sind für andere Menschen,
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