Dramen
ein, ich bitte dich!
Es wird stärker gepocht.
HETMANN.
Der Mann klopft sehr eindringlich!
FANNY
angstvoll.
Herein!
Von Brühl tritt ein. Er trägt kurzen Vollbart. In der Hand hält er ein dickes, neugebundenes Buch.
VON BRÜHL.
Ich bringe Ihnen das Buch, Herr Hetmann, das ich über Sie geschrieben habe. Es wird dem Buch vielleicht vergönnt sein, Ihnen einige Stunden angenehmer Unterhaltung zu bereiten. Sollte ich es darin überschätzen, dann bitte ich Sie, wenigstens mein ehrliches Wollen nicht zu verkennen.
HETMANN.
Sie haben sich verheiratet, Herr von Brühl, wie ich zu meiner großen Freude gehört habe! Überdies sind Sie kürzlich zum Außerordentlichen Professor ernannt worden!
VON BRÜHL.
Meine Ernennung zum Professor hat mit den Arbeiten, die mir wirklich am Herzen liegen, wohl nur sehr wenig zu tun.
(Nachdem beide Platz genommen, das Buch aufschlagend.)
Ich habe mich in dem Buch in erster Linie an die Gespräche gehalten, die Sie mit den Personen Ihrer Umgebung führen. Von einer eingehenden Besprechung Ihrer Schriften glaubte ich absehen zu müssen. Ich bitte Sie, das nicht mißzuverstehen. Es kam mir im wesentlichen darauf an, der Welt die Gedanken zu erhalten, die Sie selber keiner Aufzeichnung würdigen.
HETMANN.
Fürchten Sie denn nicht, Herr von Brühl, sich und der Welt damit einen schlechten Dienst geleistet zu haben?
VON BRÜHL.
Ich weiß nicht, Herr Hetmann, wie ich das verstehen soll?
HETMANN.
Je gewissenhafter ich das Urteil bei mir überlege, das die ersten ärztlichen Autoritäten vor kurzem über mich abgaben, indem sie mich für geistig vollkommen normal erklärten, um so unerschütterlicher wird die Überzeugung in mir, daß sich die Herren getäuscht haben.
VON BRÜHL.
Ich kann Ihnen kaum sagen, wie hoch es mich beglückt, Sie in so göttlicher Laune über den Schimpf, den man Ihnen angetan hat, spotten zu hören!
HETMANN.
Dann lösen Sie mir selber das Rätsel! Wie kann ich mich als normaler Mensch seit frühester Kindheit in einem so abgrundtiefen, unüberbrückbaren Gegensatz zur normalen Welt befinden?! – – Mögen mich daher die Professoren beurteilen, wie sie wollen, ich weiß, was ich von mir zu halten habe. Deshalb habe ich mich auch entschlossen, von heute ab über die normale Welt als über etwas hinwegzusehen, was für mich gar nicht mehr vorhanden ist!
VON BRÜHL.
Es ist bedauerlich genug, daß der Hetmannismus voraussichtlich noch Jahrzehnte auf die ernste Anerkennung warten muß, die ihm gebührt.
HETMANN.
Sind Sie, Herr von Brühl, denn wirklich schon betört genug, um aufrichtig daran zu glauben, daß zum Beispiel die drei barbarischen Lebensformen, von denen ich sprach, jemals von der Menschheit allgemein als solche beurteilt werden?! – Daß zum Beispiel meine Behauptung: » Die Bewertung der Jungfräulichkeit ist unsittlich «, jemals als der Gedanke eines vernünftigen Menschen angesehen wird?!
VON BRÜHL.
Dessen bin ich vollkommen sicher!
HETMANN.
Ich nicht! Aber mich kümmert Gott sei Dank keine Anerkennung mehr! Bei meiner jetzigen Selbsterkenntnis muß mir jede Anerkennung, komme sie von wem sie wolle, von vornherein verdächtig sein! Ich weise sie zurück! Ich verfolge von heute ab nur noch das eine Ziel, mir meine Freiheit zu wahren! Meine durch nichts beschränkte Freiheit! Meine unantastbare Freiheit! Sobald ich den Vorzug anerkenne, von irgendeinem Menschen – auch von Ihnen – anerkannt zu werden, setze ich dadurch einen Tyrannen über mich ein, der mich nach Gutdünken in Ungnade fallen lassen kann. Vor dieser Gefahr will ich gesichert sein! – Von Ihrer Aufrichtigkeit, Herr von Brühl, bin ich tief überzeugt. Aber diese Frau
(Auf Fanny deutend.)
ist ebenso aufrichtig wie Sie: Sie hat alles bis auf den letzten Buchstaben widerrufen, was sie für ihr ganzes Leben beteuert hatte! Und trotzdem ist sie eines der herrlichsten Menschenkinder, die die Natur geschaffen! Und wenn dies Buch, das Sie hier geschrieben haben, keine Anerkennung findet, wendet sich Ihr Groll dann nicht berechtigterweise gegen mich? Werden Sie mir nicht vorwerfen, daß ich Sie verführt und um den Ertrag Ihres Lebens betrogen habe?! Und trotzdem bleiben Sie einer der vornehmsten Menschen, die mir in dieser Welt begegnet sind! Gehen Sie, wenn Sie ein Ziel erreichen wollen, Ihren eigenen Weg! Gehen Sie nicht meinen Weg! Ich möchte von heute ab meinen Weg gerne allein gehen!
VON BRÜHL
sich erhebend.
Ich kann Ihnen nicht ausdrücken, Herr Hetmann, wie
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