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Dramen

Titel: Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Wedekind
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unter keinen Umständen allein bleiben! Wie ich eben an dem starren glanzlosen Ausdruck ihrer Augen merke, bereitet sich in ihrem Nervensystem ein jäher Zusammenbruch vor. Dieser Nervenschlag könnte sich in vorübergehender geistiger Umnachtung äußern. Jedenfalls muß das Mädchen vor jeder Gemütserschütterung bewahrt bleiben. Die geistige Störung könnte sonst mit Leichtigkeit eine lebenslängliche Schwermut zur Folge haben.
    Josef
während Else zu Klara hinübergeht
    Es versteht sich ganz von selbst, Herr Doktor, daß wir die nächsten Tage hier bleiben. Aber was geschieht jetzt mit dem Kind? Man muß die Unglückliche doch jedenfalls baldmöglichst von dem fürchterlichen Anblick befreien.
    Dr. Schwarzkopf
immer noch leise sprechend
    Das muß natürlich das erste sein.
(Seinen Havelock anziehend)
Ich schicke jetzt gleich die Vermieterin von unten herauf, damit sie das Kind möglichst unauffällig hinausträgt. Derweil stelle ich auf der Gemeindekanzlei den Schein aus und besorge beim Tischler einen kleinen Sarg. Sobald es dunkel geworden ist, tragen wir, Sie und ich, das Kind dann zum Friedhof hinaus. Ich muß Sie aber noch einmal darauf aufmerksam machen, Herr Professor, bewahren Sie das Mädchen vor jeder Art von Aufregung! Ich halte es für sehr gut möglich. daß man einem plötzlichen Nervenkollaps durch gute Pflege und umsichtige liebevolle Behandlung vorbeugen kann. Aber bei dem kritischen Zustand, in dem sich das Mädchen augenblicklich befindet, würde die geringste seelische Erschütterung mit absoluter Sicherheit einen Wahnsinnsanfall auslösen.
(Ihm die Hand drückend)
Aus Wiedersehn! Für die nächste Nacht bekommt sie ohne ihr Wissen ein kräftiges Schlafmittel zu trinken.
Vierte Szene
    Frau Oberst Hühnerwadel. Franz Lindekuh. Die Vorigen
    Frau Oberst
eine hochgewachsene Dame von sechzig Jahren, öffnet die Tür und sagt
    Und in dieser jämmerlichen Dachkammer!
    Klara
die inzwischen mit blöden Augen vor sich hingestarrt hat, mit einem Aufschrei emporfahrend
    Da ist meine Mutter!
    Frau Oberst
ist rasch auf sie zugeeilt und schließt sie in die Arme
    Mein Kind! Mein inniggeliebtes Kind! So habe ich dich endlich wieder!
    Klara
gleitet wimmernd an ihr herab, bis sie mit dem Gesicht den Boden berührt
    Mutter! Meine Mutter! Bin ich denn noch wert, deine Füße zu umklammern!
    Frau Oberst
richtet sie zärtlich auf
    Ermanne dich, mein Kind. Wirf dich vor Gott in die Kniee! Ich bin deinesgleichen, dein Fleisch und Blut, ich bin doch deine Mutter! Ich weiß ja alles, was du mir zu sagen hast; weiß alles, was du gelitten hast! Nimm dein Kind in den Arm und komm! Du und dein Kind, ihr sollt die glücklichsten Tage in deinem väterlichen Hause erleben!
    Klara
aufschreiend
    Mutter, mein Kind ist tot!
(Zum Bettchen eilend)
Hier liegt mein Kind! Es ist kalt! Es hat keine Spur von Wärme mehr in sich! Mutter, was ich um dieses Kind gelitten habe, das hast du um mich nicht gelitten, als du mich gebarst! Und jetzt ist es hin! Alles hin! Alles, alles hin!
    Frau Oberst
zum Bettchen gehend und sich in maßlosem Erstaunen zu Lindekuh zurückwendend
    Das Kind ist tot!? – Und das können Sie mir verschweigen?!
    Lindekuh
    Das wolle Gott im Himmel nicht, daß das Kind nicht mehr lebt!
    Dr. Schwarzkopf
gedämpft
    Es ist vor zehn Minuten einem unheilvollen Magen- und Darmkatarrh erlegen. Ich hätte ihm vielleicht noch eine Kampfereinspritzung geben können. Der rasche Verlauf ließ mir keine Zeit dazu.
    Frau Oberst
    Klara! Klara! Jetzt erfaßt mich ein entsetzliches Grauen!
(Zu Lindekuh)
. Rührt Sie denn dieses Schicksal nicht?!
    Lindekuh
    Ich bin wortlos…
    Frau Oberst
    Wortlos sind Sie?! – Das Schicksal meiner Tochter rührt Sie so wenig, als wäre in Ihrer Abwesenheit ein Apfel vom Baum gefallen! Reden Sie mich nicht mehr an! Ich habe bei uns in der Schweiz schon die empörendsten Ruchlosigkeiten über Sie gehört! Aber Ihr persönliches Benehmen verwandelt mir das Blut in Eiskörner!
    Klara
aufspringend
    Laß mich allein, Mutter! Laßt mich alle allein! Laßt mich allein, damit ich endlich, endlich, endlich wahnsinnig werden kann!
    Frau Oberst
sie in die Arme schließend
    Soweit hat dich sein Satanismus also glücklich gebracht.
(Zu Lindekuh)
Helfen Sie mir jetzt doch wenigstens mein Kind zu beruhigen, nachdem Sie mein Kind so grenzenlos unglücklich gemacht haben!
    Klara
sich losreißend
    Die Qualen, die mich zu Boden rissen, werden lächerlich! Meine Höllenleiden verkehren sich in

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