Dramen
Krankheit hängt leider mehr vom Charakter der herrschenden Epidemie als von der ärztlichen Behandlung ab.
(Dem Kind die Brust reibend)
Geben Sie acht, gleich wird das Kind wieder schreien.
Klara
die Hände ringend
Musik! Musik! – Was habe ich um deinetwillen auf Gottes Welt schon ausgestanden!
Dr. Schwarzkopf
zu Josef
Als ich eben noch einen Krankenbesuch im Dorfe machte, lief mir unversehens Franz Lindekuh über den Weg. Ich fragte mich: Was hat denn der nur! Er erkannte mich kaum und sprach dabei ununterbrochen laut mit sich selber. Er sagte, er müsse rasch jemanden vom Bahnhof abholen.
Josef
Franz Lindekuh hat immer irgend jemanden zur Hand, den er im ungeeignetsten Moment vom Bahnhof abholt! Dieser schadenfrohe Menschenverächter glaubt, wir alle, die wir uns hier auf Erden in den furchtbarsten Qualen winden, seien von Gott nur dazu geschaffen, um ihm durch unsere Gefühlsäußerungen die Zeit zu vertreiben. –
(Klara den Kopf streichelnd)
Klara, du mußt deiner Mutter mit unerschütterlichem Selbstbewußtsein entgegentreten! Du mußt ihr mit unnahbarem Stolz in die Augen sehen. Dann ist deine Mutter glücklich, dich wieder zu haben!
Dr. Schwarzkopf
Mut, Fräulein Klara! – Wenn die Gewebe nur erst wieder eine gewisse Sättigung zeigen und das Blut wieder kräftig durch die Adern strömt!
Else Reißner und die Vermieterin tragen einen Kübel dampfenden Wassers herein, den sie in die Mitte des Zimmers setzen
Else
Das Bad wird ihm gut tun.
(Den nackten Arm im Wasser)
Alles Kochsalz, das in der Küche war, haben wir hineingeschüttet. Das Salz wird ihm doch wohl nicht schaden, Herr Doktor?
Dr. Schwarzkopf
am Bettchen, gedämpft
Es ist nichts mehr zu wollen. Das Kind ist tot.
(Klara schreit jämmerlich auf.)
Dr. Schwarzkopf
nimmt sie in die Arme und richtet sie sorglich empor
Nun kommen Sie, Fräulein Klara! Unser Patient sind jetzt Sie! Wir haben jetzt sehr ernst miteinander zu sprechen, und wir haben noch sehr, sehr viel miteinander zu sprechen. Schreien Sie nur, so laut Sie schreien mögen! Tun Sie sich uns gegenüber nicht den geringsten Zwang an! Weinen Sie sich jetzt aus, so viel und so heftig Sie nur weinen können! –
(Zu der Vermieterin)
Tragen Sie das Wasser wieder hinunter!
Die Vermieterin nimmt den Kübel mit Wasser vom Boden und trägt ihn hinaus.
Dr. Schwarzkopf
Klara, die ihr Gesicht wimmernd an seiner Brust birgt, den Kopf streichelnd
Nur weinen! Recht viel weinen! – Sehen Sie, Fräulein Klara, wenn man so liebe und so treue Freunde in dieser Welt sein eigen nennt wie Sie, dann ist es ja unmöglich, daß es einem in Wirklichkeit einmal schlecht geht! Glauben Sie mir, Fräulein Klara, daß ich aus meiner Erfahrung weiß, wie das wirkliche Unglück aussieht! Dagegen gehalten sind Ihre Erlebnisse noch nicht so schwer. – Aber es schüttelt Sie eben doch, es reißt Sie innerlich zusammen, es würgt Ihnen den Hals ein! – Dafür haben Sie eben augenblicklich auch all Ihr aufgepeitschtes Blut im Kopf! – Weinen Sie nur, wir bleiben bei Ihnen! Sie müssen sich jetzt erst wieder vollständig gesund und vollkommen glücklich fühlen! Was Sie in den letzten Wochen erlebt, muß Ihnen ganz und gar aus dem Gedächtnis entschwunden sein, bevor wir Sie aus unserer Gefangenschaft entlassen! – So, und jetzt setzen Sie sich, bitte, in diesen Polstersessel.
(Er hat einen Strohstuhl zurechtgerückt und läßt Klara sich darauf niedersetzen. Ihr fortwährend Gesicht und Hände streichelnd)
Sehen Sie, Fräulein Klara, Sie haben – genau betrachtet – wirklich ein ganz unverhofftes Glück gehabt! An Ihrer Stelle würde ich dem lieben Gott aufrichtig für seine barmherzige Fügung danken. Das Kind, dessen Verlust Ihnen jetzt noch so erbarmungslos das Herz zerfleischt, das liebe Kind wäre in dieser Welt doch wahrscheinlich niemals recht glücklich geworden! Ich als Arzt kann Ihnen die Versicherung geben, daß das herzige, gute Geschöpfchen, ohne es zu ahnen, den besten Weg gewählt hat, der ihm zu seinem Glück offen stand. – Weinen Sie, Fräulein Klara! – Weinen Sie, wir haben Zeit.
Else
gedämpft
Unter diesen Verhältnissen, Josef, werden wir heute doch jedenfalls noch bei ihr bleiben müssen!
Josef
ebenso
Selbstverständlich bleiben wir hier! Es ist mir unbegreiflich, wie du daran zweifeln kannst!
Dr. Schwarzkopf
Klara den Kopf streichelnd
Weinen Sie jetzt nur ruhig so weiter.
(Er geht zu Josef hinüber und sagt leise, aber mit Nachdruck)
Das Mädchen darf diese Nacht
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