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Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Titel: Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Redline Wirtschaft
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fahren. Ich hab genug Schlechtes, auch Gutes gesehen auf meinen Fahrten durch die vielen Länder. Ich brauch das nicht mehr. Ich brauche so etwas wie ein normales Leben.«
    Jetzt ist Rainer, der schon die ganze Zeit zugehört hat, nicht mehr zu bremsen. »Manchmal wird man wie ein Kleinkind behandelt«, schimpft er. »Das Taschengeld, das uns laut Gesetz zusteht, wird den meisten gar nicht ausgezahlt. Man kriegt Gutscheine, die man in diesem Kellerloch einlösen kann für Bier oder irgendeinen Mist. Dagegen habe ich mich allerdings erfolgreich gewehrt. Ich habe ein Recht auf die paar Kröten. In bar.« Er zieht an seiner Zigarette und beruhigt sich etwas. »Na gut, ansonsten muss man sich natürlich irgendwie arrangieren, die Regeln einhalten. Aber ich bin immer auch so ein bisschen Rebell in so einer Einrichtung. Kann meinen Mund nicht halten. Vor allem bei der Obrigkeit nicht. Ich ärgere mich einfach über diese Bezahlung bei der Beschäftigungstherapie. Aber ich mach’s trotzdem, Tischlerei, Hauswirtschaft, Telefondienst und so was. Na ja, und Putzen. Keine Höchstleistungen, können sie auch nicht erwarten bei dem Geld. Aber ich geh bald wieder, ich brauch das hier nicht auf Dauer. Dann krieg ich wieder meinen Stempel in den Pass ›Ohne festen Wohnsitz‹. Und zieh los. Ich bin Vagabund, ja, das bin ich eigentlich.«
    Jetzt, wo es wieder wärmer wird, kann ich mir Rainer als selbstbewussten Clochard gut vorstellen. Seine Augen leuchten, wenn er von seinem baldigen Aufbruch erzählt. Es gibt nicht nur arme Schweine unter den Leuten auf der Straße, denke ich. Es gibt auch die anderen, zu denen Rainer gehört. Auch wenn er mir später erzählt, dass er so einiges hinter sich hat. 15 Jahre am Stück war er auf der Straße. »Das ist harte Arbeit, das stresst den Körper mehr, als irgendwo in einem Büro zu sitzen. Wir sind ständig unterwegs, wir wissen nicht, was morgen ist.« Dann berichtet er von zwei Erlebnissen, die ihn fast das Leben gekostet hätten. »Im schönen Oberschwaben, direkt am Lech, hab ich Platte gemacht. Da war so eine Uhr mit Thermometeranzeige. Als ich wach geworden bin morgens, zeigte die minus 23 Grad. Nachts musste es also noch kälter gewesen sein. Als ich dann meinen Schlafsack zusammengerollt hatte und die Isomatte einpacken wollte, ging das nicht. Die war festgefroren, weil sich durch mein Schwitzen Kondenswasser gebildet hatte, das zu Eis geworden war.«
    Wenn das noch wie eine Landsergeschichte im Kampf ums Überleben klingen mag, dann kann das Folgende nur einem Obdachlosen passieren: »Da bin ich mal in Baden-Württemberg von drei Skinheads, also so Rechtsradikalen, zusammengetreten worden. Die hatten aber erst gewartet, bis ich im Schlafsack drin war und mich kaum noch wehren konnte. Bis ich da wieder rauskam, das dauerte eine Weile. Die haben mich richtig zusammengetreten. Das war echt unangenehm.«
    Er erzählt auch dieses Erlebnis auf seine lakonische Art. Manche Ereignisse werden besser untertrieben. Sonst lähmt die Angst vor einer Wiederholung zu sehr. Rainer aber hat sein Leben auf der Straße nicht aufgegeben. Auch wenn er manchmal körperlich am Ende ist: »Wir haben ständig zu schleppen. Ich habe einen Rucksack dabei von 40 Kilo, den muss man erst mal sein halbes Leben auf dem Buckel haben. Das macht dich auf die Dauer kaputt. Ich habe Arthrose in allen Gelenken, habe zwei künstliche Hüftgelenke. Mit 45!«
    Und dennoch: »Das Leben auf der Straße ist wie eine Sucht. Aber eine Sucht, die auch frei macht. Man kann Glücksmomente haben. Kleinigkeiten sind das. Wenn es grün wird draußen, wenn der Frühling kommt. Wenn die Knospen über Nacht sprießen. Das macht mich glücklich. Weil dann weiß ich, es kommt wieder eine Zeit, wo es mir gut geht.«
    Rainer schwärmt davon, wo er überall war, dass er es nirgendwo länger ausgehalten hat. »Das ist ein Wandertrieb. Ich weiß nicht, wo der herkommt. Aber bei mir ist er ganz stark.« Rainer ist gelernter Gärtner, hat ein Seemannsbuch, war ein halbes Jahr in Australien und hat dort Schafe geschoren, drei Jahre hat er in Afrika gelebt, zuerst in Marokko, dann weiter im Süden. Er war aber auch fünf, sechs Jahre Vollalkoholiker, zu nichts anderem als zum Saufen in der Lage, bevor er »Vagabund« wurde. Er verfügt jedenfalls über das, was man Lebenserfahrung nennt. Und er kann das rüberbringen.
    »Die Straße verändert die Menschen, manchmal zu ihrem Vorteil, manchmal zu ihrem Nachteil, es kommt ganz darauf an. Ich kenn

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