Draußen wartet die Welt
wie zugeschnürt an. »Und kümmere dich gut um deine Tante Beth. Das wird heute ein schwerer Tag für sie.«
Ich löste mich aus der Umarmung, aber meine Hände klammerten sich noch immer an den Armen meiner Mutter fest. »Das war …« Ich geriet ins Stottern und suchte verzweifelt nach den richtigen Worten. »Das war eine sehr wichtige Zeit für mich.«
»Für mich auch«, erwiderte meine Mutter.
Ich machte einen Schritt zur Seite und überließ Beth den Platz in den Armen meiner Mutter. Sie weinte und meine Mutter strich ihr übers Haar. Meine Mutter war ganz blass im Gesicht und ihre Lippen zuckten. »Du solltest in Zukunft öfter in den Briefkasten schauen, Beth. Es werden ganz bestimmt Briefe kommen.«
»Der Bann«, entgegnete Beth mit erstickter Stimme. »Du könntest bestraft werden.«
»All die Jahre ohne dich waren meine Strafe«, sagte meine Mutter. »Sie können mir nichts Schlimmeres mehr antun. Es kann unmöglich sein, dass man als gute Amische gilt, wenn man jemanden aufgibt, den man liebt.« Sie griff nach der Türklinke und öffnete die Tür, drehte sich dann jedoch noch einmal zu Beth um. Das Gesicht meiner Tante spiegelte ihren Schmerz wider.
»Jetzt ist alles gut, Elizabeth«, sagte meine Mutter. »Deine Schwester ist da.«
Mit einer Sache hatte meine Mutter recht. Es würde ein schwerer Tag für Tante Beth werden. Nachdem meine Mutter gegangen war, wirkte Beth wie ein kleines Kind, das sich auf dem Jahrmarkt verlaufen hat. Ich half ihr, die Küche aufzuräumen, und ging dann mit ihr ins Gästezimmer, um die Betten abzuziehen. Sie blieb mit einem dicken Bündel Bettwäsche auf dem Arm in der Mitte des Zimmers stehen.
»Soll ich die für dich in die Waschmaschine stecken?«, fragte ich vorsichtig.
Beth schüttelte den Kopf, setzte sich auf eines der Betten und ließ die Bettwäsche auf den Boden fallen. Ich setzte mich neben sie und legte einen Arm um ihre Schultern. »Jetzt ist alles gut. Du und meine Mom seid wieder zusammen.«
Beth legte ihren Kopf auf meine Schulter. »Ja«, sagte sie. »Zusammen und doch getrennt. Aber ich schätze, das ist immerhin besser, als es vorher war.«
»Viel besser«, sagte ich. Aber Beths Worte machten mich nachdenklich. Zusammen und doch getrennt. Genauso war es auch für mich. Ich erhielt zwar viele Briefe, und hin und wieder kam mich vielleicht jemand besuchen, aber ich war von meiner Familie und meinen Freunden getrennt. Darüber hatte ich bei all der Aufregung und Vorfreude, bevor ich hierhergekommen war, überhaupt nicht nachgedacht.
Beth sah mir ins Gesicht. Sie wirkte erschöpft, so als habe sie gerade einen langen Arbeitstag hinter sich gebracht. »Ich glaube, ich muss mich ein bisschen hinlegen«, sagte sie. »Ist es okay, wenn ich dich erst später zurück zu Rachel bringe?«
Als ich Beth in ihr Zimmer brachte, fühlte ich mich wie ihre Beschützerin und sehr erwachsen. Beth legte sich ins Bett und deckte sich mit dem Quilt zu.
»Ich brauche nur ein paar Minuten«, murmelte sie, als ich das Licht löschte und die Tür schloss.
Während meine Tante sich ausruhte, schaltete ich die Waschmaschine ein und bezog die Betten mit neuen Laken. Dann machte ich das Gästebad sauber und hängte frische Handtücher auf. Ich freute mich darauf, bald wieder bei Rachel zu sein, Josh anzurufen und die Kinder wiederzusehen. Aber die Traurigkeit in Beths Augen nagte an mir. Ich war erleichtert, als Onkel John vom Bahnhof zurückkehrte.
»Tante Beth hat sich hingelegt«, sagte ich. »Ich glaube, sie möchte eine Weile allein sein.«
John nickte. »Ich habe mich vor diesem Tag gefürchtet«, gestand er. »Es war so furchtbar schwer für sie, als sie ihrer Schwester zum ersten Mal Lebewohl sagen musste.«
»Wie hat meine Mom es verkraftet?«
»Sie hat im Auto kaum ein Wort gesprochen. Und sie wollte nicht, dass ich sie zum Zug begleite.« Er hielt inne und sah mich fragend an. »Und wie geht es dir?«
Ich war mir nicht sicher, wie ich darauf antworten sollte. Ich würde meine Mutter zwar vermissen, aber im Moment gingen mir andere Dinge durch den Kopf. Ich hatte Josh versprochen, ihn anzurufen, sobald ich wieder bei Rachel war. Das war ein neuer Anfang für uns. In Wahrheit konnte ich es kaum erwarten, ihn wiederzusehen. Ich hatte jedoch Angst, es laut auszusprechen, weil ich fürchtete, dass es klingen würde, als sei ich froh, dass meine Mutter wieder abgereist war.
»Mir geht’s gut«, versicherte ich.
»Na gut«, sagte Onkel John. »Dann bringen wir
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