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Draußen wartet die Welt

Draußen wartet die Welt

Titel: Draußen wartet die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Grossman
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eines Tages wirst du deine eigene Entscheidung treffen.«
    Ich saß ganz still da und genoss das Kitzeln, während meine Mutter mit der Bürste durch mein Haar fuhr und es mit ihren kräftigen Händen glättete. Es war das erste Mal, dass sie je die Möglichkeit erwähnt hatte, dass ich mich vielleicht entscheiden würde, nicht in mein amisches Leben zurückzukehren.
    »Was willst du damit sagen?«
    »Ich will damit sagen, dass ich nicht möchte, dass noch ein Mitglied meiner Familie unter den Bann gestellt wird.«
    »Wenn ich also entscheiden sollte, hierzubleiben …«
    Sie riss die Bürste so abrupt aus meinem Haar, dass ich ein wenig erschrak. Meine Mutter schüttelte energisch den Kopf. »Lass uns jetzt nicht darüber sprechen«, sagte sie. »Ich ertrage es nicht, auch nur daran zu denken.«
    »Okay«, erwiderte ich. Und dann fügte ich vorsichtig hinzu: »Aber du bist diejenige, die davon angefangen hat.«
    »Ich weiß. Aber mir gehen so viele andere Dinge durch den Kopf.« Ich wartete. Sie bürstete mein Haar weiter. »In letzter Zeit habe ich oft an Kates Bruder gedacht. Er hat seiner Mutter das Herz gebrochen. Ich frage mich, ob sich für die Familie vielleicht vieles anders entwickelt hätte, wenn sie mit Williams Entscheidung einverstanden gewesen wären, sich nicht taufen zu lassen. Vielleicht hätten sie dann immer noch Kontakt zu ihm.«
    Ich hörte ihr schweigend zu.
    Sie fuhr fort: »Deshalb möchte ich, dass du weißt, dass ich nicht dasselbe durchmachen möchte wie Kates Mutter. Verstehst du, was ich meine?«
    »Ich verstehe«, erwiderte ich leise.
    »Und welche Entscheidung du auch immer triffst«, sagte sie, »triff sie nicht für einen Jungen. Bleib nicht wegen Joshua hier, und komm nicht wegen Daniel zurück nach Hause. Triff deine Entscheidung für dich selbst.«
    Ich sah meine Mutter an. Sie hatte aufgehört, mein Haar zu bürsten, und wartete darauf, dass ich etwas sagte. »Ich verstehe.«
    »Gut«, erwiderte sie, und ihre Stimme klang dabei wieder mehr nach der strengen, nüchternen Mutter, die ich zurückgelassen hatte, und weniger nach der unerwarteten Freundin, die ich in den vergangenen sechs Tagen gefunden hatte. »Und jetzt lass uns nach unten gehen und diesem schrecklichen Abschied ins Auge sehen, vor dem uns allen so graut.«
    In der Küche stand Beth am Spülbecken, starrte aus dem Fenster und hielt sich an einer Kaffeetasse fest. Als sie sich zu uns umdrehte, sah ich, dass ihre Augen rot und verquollen waren. »Also«, sagte sie mit gequälter Fröhlichkeit, »was möchtet ihr zum Frühstück?«
    »Was die wenigsten Umstände macht«, antwortete meine Mutter und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein.
    Während Beth die Eier für das Rührei verquirlte, deckte ich den Tisch und meine Mutter toastete das Brot. Ein paar Minuten später saßen wir am Küchentisch. Ich schaufelte etwas Rührei auf meine Gabel, aber schon beim Versuch, zu schlucken, tat mir der Hals weh. Ich schaute meine Mutter und meine Tante an, die scheinbar dieselben Schwierigkeiten hatten.
    Meine Mutter legte ihre Gabel weg. »Gibt es irgendeine Möglichkeit, wie wir uns den Abschied leichter machen können?«
    Beth schüttelte den Kopf und eine Träne rann über ihre Wange. »Keine Chance.«
    »Das habe ich mir schon gedacht«, erwiderte meine Mutter mit einem traurigen Lachen.
    Ich stand auf, trug die Teller und Kaffeetassen ins Spülbecken und lauschte dem tröstenden Schweigen der beiden Schwestern am Tisch. Als ich mich wieder zu ihnen umdrehte, sah ich, dass meine Mutter und meine Tante ihre Arme über den Tisch gestreckt hatten und sich an den Händen hielten. Während ich sie betrachtete, wurde mir bewusst, dass auch ich mich eines Tages von einer von ihnen würde verabschieden müssen.
    Ich zwang mich, meinen Blick abzuwenden, und sah, dass John in der Küchentür stand.
    »Ist es wirklich schon Zeit?«, fragte Beth. John schaute auf die Uhr und nickte. Meine Mutter und Beth ließen einander los und standen langsam vom Tisch auf.
    »Ich bringe deine Sachen ins Auto, Becky«, sagte John. »Ich warte draußen auf dich.«
    Ich folgte meiner Mutter und meiner Tante durchs Wohnzimmer zur Haustür. Meine Mutter ging übertrieben aufrecht. An der Tür drehte sie sich zu mir um und breitete ihre Arme aus. Ich machte einen Schritt auf sie zu und schmiegte mich an sie. Sie drückte mich ganz fest an sich und flüsterte mir ins Ohr: »Vergiss nicht, worüber wir gesprochen haben.« Ich nickte. Meine Kehle fühlte sich

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