Draußen wartet die Welt
bisschen neugierig?«
»Oh, neugierig bin ich schon. Aber ich mag es, zu wissen, was von mir erwartet wird. Hier fühle ich mich sicher.«
Ich versuchte, Marys Gefühle zu verstehen, aber ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass jemand sich so glühend nach Sicherheit sehnte. Ich wandte mich an Annie. »Und was ist mit dir? Bist du denn nie neugierig auf die Englischen?«
»Ich habe gehört, dass die Yankee *** -Jungs ganz süß sein sollen«, antwortete sie mit einem Grinsen.
*** Als Yankees werden in den USA die Bewohner der nordöstlichen Bundesstaaten bezeichnet. Die Amisch nennen so alle, die keine Amisch sind.
»Können wir bitte das Thema wechseln?«, bat Kate. »Du gehst nicht weg, warum sprechen wir dann also immer noch darüber?« Ihre Stimme klang so harsch, dass es mir unter die Haut ging.
»Wir können reden, worüber du willst«, sagte ich. »Ich wusste ja nicht, dass dir das so viel ausmacht.«
Kate wandte ihren Blick ab. Ich war gespannt, was sie mir antworten würde. Der Raum füllte sich allmählich mit weiteren Gästen. Neben der Tür rauchten zwei Jungen Zigaretten und der beißende Rauch zog in die Scheune. Aus einer ausgeliehenen Maschine, die Susie als Gettoblaster bezeichnete, ertönte gedämpfte Musik, die den Hintergrund unserer Unterhaltungen bildete. Musik war etwas Neues in unserem Leben und wir durften sie nur auf diesen Partys hören. Wir wussten zwar nicht das Geringste über die Musik, aber sie war verboten und daher äußerst begehrt.
»Es macht mir aber was aus«, sagte Kate, drehte sich wieder um und sah mich an. »Und ich schätze, ich muss dir dann wohl mein Bedauern aussprechen, weil du hier bei uns festsitzt.«
Bevor ich etwas erwidern konnte, war sie aufgestanden und zum Büfett gegangen. Ich wandte mich wieder Mary zu. »Was ist denn mit ihr los?«
Mary zuckte mit den Schultern. »Vielleicht hat ihr der Gedanke einfach nicht gefallen, dass du von uns weggehst.«
»Aber ich gehe doch gar nicht.«
»Ich weiß«, sagte Mary. »Aber vielleicht wünscht sie sich ja, dass du deswegen nicht so enttäuscht wärst.«
Ich schüttelte den Kopf und spürte, wie eine namenlose Wut in mir aufstieg. Kate war meine beste Freundin. Ich durfte ihr gegenüber doch wohl offen und aufrichtig sein. »Aber ich bin nun mal enttäuscht«, erwiderte ich. »Wäre es ihr denn lieber, wenn ich deswegen lügen würde?«
»Nein«, antwortete Mary. »Aber vielleicht könntest du wenigstens so tun, als ob du uns vermisst hättest.«
Ich schaute zu Mary hinüber, die ihre Hände im Schoß gefaltet hatte und aussah, als sitze sie an ihrem Platz im Klassenzimmer. Mary ging mit Nicholas, einem Jungen, der glücklich war, wenn er zu Hause bleiben konnte. Die beiden passten perfekt zueinander. »Ich hätte euch sehr vermisst«, sagte ich. Und ich meinte es auch so.
Annie starrte wieder auf die Tür und wartete auf Marc. Ich betrachtete sie lächelnd. Ihre Gefühle waren für jedermann offensichtlich. Plötzlich veränderte sich ihr Ausdruck, und ich folgte ihrem Blick noch rechtzeitig zur Tür, um zu sehen, wie Daniel hereinkam. Zunächst war ich überrascht, ihn zu sehen, da er mir nicht angeboten hatte, mich zur Party mitzunehmen. Dann sah ich jedoch, warum. An seiner Seite war Hannah, groß und schlank, ihr helles Haar zu einem langen Zopf geflochten, der über ihre Schulter fiel. Ihre prallen Lippen sahen aus wie zwei geschwungene Herzen und verzogen sich zu einem hämischen Grinsen, als sie uns sah.
Hannah war nur lose mit uns befreundet. Sie und ich stritten uns andauernd und versöhnten uns dann wieder. Ich fand sie furchtbar anstrengend. Und hier war sie nun, an Daniels Arm. Mit einem Mal wurde es in der Scheune viel zu heiß und viel zu laut. Hannah löste sich von Daniel, winkte und kam mit lässigen Schritten und schwingenden Armen auf mich zu. »Hi«, grüßte sie in die Runde. Mary und Annie rutschten ein Stück, um einen Platz für sie frei zu machen. Sie setzte sich. »Habe ich irgendwas verpasst?«
»Nein«, erwiderte Annie mit düsterem Lächeln. »Ich glaube, die Party fängt gerade erst an.«
»Gut«, sagte Hannah, warf ihren Zopf nach hinten und streckte ihre langen Beine aus. »Ich war spät dran und der arme Daniel musste auf mich warten.«
Ich murmelte, ich wolle mir noch etwas zu trinken holen, erhob mich und stand einen Moment lang auf wackeligen Beinen, bevor ich zum Büfett hinüberging.
Kate stand immer noch dort und unterhielt sich mit unserem Freund Robert.
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