Draußen wartet die Welt
Schwester Margaret hatte sich auf der anderen Seite neben meine Mutter gesetzt, sittsam, pflichtbewusst und zufrieden. Ruthie saß neben Margaret, hielt das Gesangbuch ganz fest und versuchte, erwachsen auszusehen. Eigentlich hätte ich mich zu ihnen gesetzt, aber da ich zu spät gekommen war, ließ ich mich auf dem nächsten freien Platz nieder, neben meiner Cousine Clara. Um uns herum saßen die anderen Frauen des Bezirks, meine Freundinnen und ihre Mütter und Schwestern, alle mit weißen Kappen und Schürzen, die Röcke ihrer Kleider über ihre Knie gezogen. Auf der anderen Seite des Zimmers, bei den Männern, saß mein Vater zwischen James und meinem Onkel Ike. Daniel war da und Robert und Marc und sie alle trugen einen schwarzen Hut und eine schwarze Anzugjacke über ihrem weißen Hemd und der schwarzen Hose.
Ich klammerte mich an dem Ausbund fest, den mir jemand in die Hand gedrückt hatte, als ich hereingekommen war. In dem ziemlich abgenutzten Buch standen sämtliche Kirchenlieder, die seit dem 16. Jahrhundert in Gottesdiensten der Amisch gesungen wurden. Der erste Prediger stand in der Mitte des Raumes und rief ein Lied aus, das alle um mich herum zu singen begannen. Sie folgten der Führungsstimme des Predigers und stimmten die vertraute Kadenz an. Wir wussten alle, dass wir uns dem Tempo des Predigers anpassen, die Töne genauso lange aushalten und eine Pause einlegen mussten, wenn er es tat. Ich fragte mich, ob wir wirklich immer so langsam sangen. Ich konzentrierte mich darauf, die Töne genauso lange zu halten wie alle anderen um mich herum, aber ich hatte nicht genügend Luft und musste vorzeitig abbrechen. Ich schluckte, atmete tief ein und versuchte es erneut. Als Clara ihre Seite umblätterte, blätterte ich ebenfalls weiter. Ich fühlte mich, als hätte ich einen Anfall von Reisekrankheit und müsse aus der Kutsche aussteigen, weil mir von dem Schaukeln ganz übel wurde.
Ich stand von der harten Bank auf und schlich mich leise zur Tür. Mein Herz raste, als ich auf die Veranda trat und die frische Frühsommerluft einatmete. Ich würde einfach ein paar Minuten hier draußen stehen bleiben und später wieder zum Gottesdienst ins Haus schlüpfen. Falls irgendjemand fragte, würde ich behaupten, ich hätte Kopfschmerzen.
Ich blickte auf die Straße, die von hier wegführte, und in jenem Moment wurde mir klar, dass ich fortgehen musste. Ich stieg vorsichtig die Stufen hinunter und ging auf die Straße zu. Dann fing ich an zu rennen. Der Wind wehte durch mein Haar, und ich legte eine Hand auf meine Kapp, damit sie nicht davonflatterte. Als ich den Weg erreichte, der neben dem Highway entlangführte, verlangsamte ich meinen Schritt. Ich saugte die beruhigende Juniluft ein und fühlte mich erleichtert, dass ich den stickigen Raum mit all den gleich aussehenden Menschen hinter mir gelassen hatte. Die Autos rauschten an mir vorüber, und ich wünschte mir, ich könnte am eigenen Leib spüren, wie es sich anfühlte, in einem von ihnen zu sitzen und von allem fortzurasen, was ich kannte.
Es waren zwei Meilen bis zu Hause. Ich ging entschlossenen Schrittes weiter und versuchte, nicht über die Konsequenzen meines Handelns nachzudenken. Jeden zweiten Sonntag den Gottesdienst zu besuchen, wurde von allen Amisch erwartet. Das war nichts, worüber man streiten oder diskutieren konnte. Es war die strengste all unserer Regeln, und ich war gerade dabei, sie zu brechen.
Ich ging immer weiter, vorbei an den Farmen und kleinen Enklaven mit Amisch-Läden, in denen die Touristen Quilts und andere Handarbeiten kauften. Feuchtigkeit breitete sich auf meinem Rücken aus. Ich begann heftig zu keuchen, während ich verbissen nach Hause und auf die unausweichlichen Vorwürfe meiner Eltern zumarschierte.
Hinter mir näherte sich eine Kutsche, und als ich das unverkennbare Klipp-Klapp der Hufe hörte, fragte ich mich, wer wohl sonst noch den Gottesdienst schwänzte. Ich ging ein Stück auf die Seite, damit die Kutsche genügend Platz hatte. Als sie mich überholt hatte, fuhr sie von der Straße auf den Seitenstreifen und blieb vor mir stehen. Ich wollte gerade um sie herumgehen, als ich eine vertraute Stimme hörte. »Eliza, steig ein«, rief Daniel mir zu. Ich blieb neben der Kutsche stehen und sah ihn an. Er hielt die Zügel in der einen Hand und streckte die andere zu mir aus, um mir auf den Wagen zu helfen.
Ich schüttelte den Kopf. »Ich brauche keine Mitfahrgelegenheit«, lehnte ich ab. »Ich kann zu Fuß nach Hause
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