Draussen
»Ihre ›Freiheit‹ braucht sie! Sie findet, dass ich ›klammere‹! Weil ich sie ab und zu mal sehen will! Weißt du, mehr als einmal die Woche möchte ich länger als eine halbe Stunde im Café mit ihr sitzen, und das ist ihr schon zuviel!« – »Mmh, im Grunde bin ich ja überaus dafür, dass Männer ihre Gefühle zeigen«, begann ich zu monologisieren, »absolut, Micha. Ein weinender Mann ist für mich kein Tabuthema. Im Gegenteil, ich finde das total gut, wenn ihr Herren eure weiche Seite auslebt. Toll finde ich das geradezu! Viele Typen können ja gar nicht weinen. Nö, das ist schon sehr schön. Ist ja auch irgendwo ein Kompliment, dass du in meiner Gegenwart weinen kannst. Wirklich ganz toll. Aber was zur Hölle soll ich tun? Ich meine, ein weinender Mann! Das gibt es in etwa so oft wie eine Sonnenfinsternis! Na ja, nicht ganz so häufig.« Ich war ratlos. Wie sollte ich reagieren? Und dann war das auch noch mein Bruder! »Was magst du denn eigentlich an ihr?« fragte ich ihn die Frage, die ich mir selbst auch schon tausendmal gestellt hatte. Was konnte er an diesem Machoweib mögen? »Ach, sie ist toll, sie bringt mich zum Lachen, sie gefällt mir, sie kann so lieb sein …« – »Ja?« fragte ich, wohl eine Spur zu überrascht. »Ja. Sie ist im Grunde ihres Herzens ein so guter Mensch …« – »Das haben manche auch von George W behauptet … Und warum kriegst du davon nichts ab, von ihrer Güte? Oder erzählst du mir das nur nicht? Habt ihr denn wenigstens Sex?« Während ich das fragte, wurde mir klar, dass ich die Antwort gar nicht wissen wollte. Ich meine – das war mein Bruder! Doch zum Zurückrudern war es schon zu spät. »Eigentlich ist es wunderschön mit ihr. Gut, manchmal bin ich etwas überfordert, denn sie ist wirklich unersättlich und sie guckt auch immer diese schrecklichen Pornos und will das dann mit mir nachspielen und ich …« – »Stopp! Halt! Too much information!« Ich hielt mir die Ohren zu und summte Der kleine Postillion. »Was ist denn nun mit dem Urlaub? Sardinien? Oder verwendet sie ›Sardinien‹ als Metapher für Urlaub auf deinem Balkon?« – »Das ist ja das Schlimme! Sie will diesen Urlaub nicht mehr! Weil ihr das ›zu eng‹ wird und sie ›Zeit für sich‹ braucht! Aber ich liebe sie doch und ich weiß, dass sie mich auch liebt!« – »Woher?« – »Ach, du bist so doof!« – »Gut, sie schlägt dich nicht. Das ist mehr, als manch einer behaupten kann.« – »Du bist manchmal so daneben, Schwester. Sie mag mich. Sehr. Hat sie gesagt. Und … ich merk das auch. Wie sie mich anguckt.« – »Wenn ihr euch mal seht!« unterbrach ich ihn. »Oh Mann! Sie arbeitet eben viel. Ich hab ihr an ihrem Geburtstag ’nen Kuchen gebacken, und den fand sie toll! Und die Einladung in die Oper auch. Das war ein wunderschöner Abend!« – »Und dein Geburtstag? Was hat sie da gemacht?« – »Sie, sie …« Er suchte nach Worten und wurde ganz rot. »Ja, sie hat ihn vergessen. Zunächst. Dann hat sie mich zum Essen eingeladen. In Tim Mälzers Restaurant! Sie war sehr beschäftigt. Die hatten da diesen wichtigen Mandanten, der war nur für ein paar Tage in der Stadt und darauf musste sie sich vorbereiten und …« – »Wenn ich jemanden liebe, vergesse ich einfach nicht seinen Geburtstag. Is so.« Micha sah mich traurig an. »Und was ist mit diesem Marc? Wolltest du nicht mit dem zu St. Pauli?« – »Ja, da waren wir. War schön. Ist echt ein Netter.« – »Und?« – »Nichts und. Ich finde da einen im Netz ganz gut. Erzähl ich dir, wenn’s was zu erzählen gibt!«
Kapitel 15 Kontakt
Mit Mathis ging jetzt so richtig die Post ab. In der Agentur guckte ich schätzungsweise alle fünf Minuten, ob er online war, ich saß bis spät in die Nacht am Computer und morgens fuhr ich noch bettwarm als Allererstes meinen Rechner hoch. Connie gegenüber tat ich so, als sei er »Rüblitorte«, und sie war hocherfreut, dass ich wirklich mein Versprechen hielt und mich um »den Nächsten« bemühte. Leider konnte Mathis nicht so emsig chatten wie ich, er arbeitete in einer Onlineredaktion und gerade da wurde wahrscheinlich alles, was man am Computer machte, kontrolliert, deshalb hatte er wohl nicht so oft die Möglichkeit, sich bei »LiveLove« einzuloggen. Doch manchmal erwischte ich ihn und dann war mein Tag gerettet. Selbst wenn er mich fragte, wie ich denn eigentlich neben »LiveLove« noch zum Arbeiten kam. Wenn er mal Zeit für mich hatte, waren unsere Chats wirklich sehr
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