Draussen
wachlag: Das Aufstehen fiel einem leicht. Stundenlang hatte ich mir ausgemalt, wie es werden würde, was ich anziehen würde, hatte mir ausgerechnet, wieviel länger als sonst ich im Bad brauchen würde. Und vor allem hatte ich mir Argumente ausgedacht, damit Steffi mir freigab. Wenn ich doch in einen kurzen, unruhigen Schlaf gefallen war, hatte ich in Abwandlungen immer wieder folgenden Traum gehabt: Ich sehe ihn in einem unaufgeblasenen Schlauchboot sitzen, aber er sieht mich nicht. Ich will ihn rufen, aber er hört mich nicht. Ich drücke seinen Arm, aber er spürt es nicht. Da kommt Steffi, lacht mich aus und reicht ihm eine Luftpumpe, damit pumpt er das Schlauchboot auf, die beiden setzen sich rein und fahren davon. Ich schreckte jedesmal mit irre klopfendem Herzen hoch, wenn das Schlauchboot davonfuhr. Was das sollte, wusste ich nicht. Vielleicht hatte ich Urlaubsfantasien. Außerdem hatte ich mich bemüht, die meiste Zeit auf dem Rücken zu liegen, damit sich meine zugegebenermaßen wenigen, aber doch existenten Gesichtsfalten aushängen würden. Und das, wo ich doch eigentlich überzeugte Bauchschläferin war. Was tat man nicht alles für seinen Herzkönig. Ich machte mir einen starken Kaffee, duschte, enthaarte alle wichtigen Körperregionen und zog mir natürlich doch ein ganz anderes Outfit an, als ich mir nachts stundenlang ausgemalt hatte. Ich frühstückte kurz und fuhr ins Büro, fest entschlossen, mir den Abend freizunehmen.
Steffi empfing mich mit den Worten: »Du Sara, ist es o. k., wenn doch ich heute Abend mit Herrn Kleinert essen gehe? Ich hab diese Wurzelbehandlung auf morgen verschoben, denn ich denke, es ist doch wichtig, dass ich das heute mache, so als ›Chefin‹.« Sie verdrehte gespielt genervt die Augen und fügte hinzu: »Du kannst natürlich auch gerne mitkommen.« – »Nein, nein, das ist völlig in Ordnung, ich freu mich auch über einen freien Abend«, versicherte ich ihr schnell und schickte dicke Danksagungen gen Himmel. Da hätte ich ja auch schön schlafen können.
Trotz meines Schlafmangels war ich an diesem Tag sehr gut gelaunt, ich scherzte mit den Kunden am Telefon, verschickte Emails, die ich mit »sonnigen Grüßen« unterschrieb, obwohl es den ganzen Tag in Strömen regnete, und brachte Steffi aus meiner Mittagspause ein Blumentöpfchen für ihre Fensterbank mit. Sie bedankte sich, sah mich verstört an und sagte – nichts. Gegen halb sieben schwang ich mich auf mein Rad und gondelte in Richtung Schanzenviertel. Ich fuhr ganz langsam, denn ich wollte auf keinen Fall zu früh da sein. Das nämlich könnte mir als zu bedürftig ausgelegt werden. Am besten wäre es, sieben Minuten zu spät zu kommen – fünf waren zu wenig und zehn schlicht unhöflich. Das hatten meine nächtlichen Überlegungen ergeben. Um zehn vor war ich etwa zwei Minuten entfernt, also fuhr ich nochmal in eine Seitenstraße und erkundete die Gegend. Ich entdeckte einen kleinen Park, der mir bisher nicht aufgefallen war. Entzückend. Ich stieg vom Rad und schob den regennassen Weg entlang. In der Mitte war ein kleiner Teich, in dem sogar Seerosen schwammen. Monet hätte seine wahre Freude daran gehabt. Ein Teil der Rhododendren war schon aufgeblüht und beugte sich unter der Last der regennassen Blätter. Das war wunderschön hier und ich musste Mathis diesen Park unbedingt zeigen, wenn er ihn nicht schon kannte. Wir könnten hier ein Picknick machen! Uns den Korb von Tim und Steffi ausleihen und dann – es würde herrlich! Ich sah auf die Uhr. Fünf nach sieben. Jetzt musste ich mich aber beeilen, um noch rechtzeitig zu spät zu kommen.
Mathis schenkte nochmal nach. Der Hauswein schmeckte wirklich hervorragend und tat auch seine Wirkung. Ich entspannte mich. Mein erster Eindruck von Mathis war mäßig gewesen. Gut, er sah nicht unsympathisch aus, auch wenn seine Augen vielleicht etwas zu dicht beieinanderstanden. Auch war seine Nase recht gnubbelig, was man aber auch unter »niedlich« verbuchen konnte. Insgesamt war er ein wenig dünn, aber nicht zu dünn – mit drei, vier Monaten Fitnessstudio konnte man da sicher etwas machen. Müsste man auch. Ich schalt mich innerlich und rief mir Connies Worte ins Gedächtnis. »Nicht immer so nach dem Äußeren gehen!« Eigentlich sah er ja auch ganz nett aus. Ich trank noch einen Schluck Wein. Immerhin hatte er dichtes, dunkles Haar, obwohl, lichtete sich das nicht am Hinterkopf schon ein wenig? Und wenn schon. Er war vierunddreißig, da durfte sich das
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