Dray Prescot 04-Die Armada von Scorpio
der Wasseroberfläche lauern mochten. Am anderen Ufer befanden sich kleine Erdhaufen, denen ich respektvoll aus dem Weg ging.
Vor mir wurde das Gras niedriger, und der Boden zeigte erste staubige Trockenstellen. Die lange, schwarz- und rotschimmernde Kolonne näherte sich schräg von rechts. Ich zögerte nicht, ihr nach Nordosten auszuweichen.
Von einem niedrigen Hügel aus sah ich den scheinbar endlosen Strom der Ameisen. Ich nenne sie bei ihrem irdischen Namen, weil man mit den kregischen Bezeichnungen für die verschiedenen Ameisenarten ein ganzes Buch füllen könnte. Hier handelte es sich um schimmernde schwarze Tiere, die unruhig einem unbekannten Ziel entgegenzogen. Die Doppelsonne versank langsam hinter mir, und das Gebiet vor mir schimmerte im abendlichen Licht Zims und Genodras'.
Plötzlich tönten Schreie aus den länger werdenden Schatten.
Jetzt kannte ich das Ziel der Ameisen.
Soldatenameisen, riesige, kräftige Burschen, deren Beißwerkzeuge durchaus geeignet waren, normales Leder zu durchnagen, wachten rings um die Kolonnen der Arbeiter. Die Soldatenameisen waren meiner Schätzung nach gut sechs Nägel lang. Sechs Nägel ergeben eine Schnalle. Nach dem kregischen Maßsystem ist eine Schnalle etwa zehn Zentimeter lang. Die Ameisen waren also riesig.
Und das Geschrei nahm kein Ende.
Parallel zur Kolonne eilte ich weiter, wobei sich das Licht der sinkenden Sonnen auf den gepanzerten Leibern und Beißwerkzeugen spiegelte.
Weiter vorn schwärmte die Kolonne aus. Die Ameisen bildeten eine wirbelnde Masse, einen unangenehmen schwarzen Fleck auf dem Boden, der sich ständig vergrößerte.
Der Mann war angepflockt.
Mit Hand- und Fußgelenken war er an vier dicken Pflöcken befestigt worden, deren obere Enden von Hammerschlägen zerfranst waren. Er wand sich hin und her; doch die Flut der schwarzen Leiber überspülte ihn bereits – ein lebendiger Teppich, der sein Fleisch bis auf die Knochen abnagen würde.
Es gab nur eine Möglichkeit, ihm zu helfen.
Schon mehrfach hatte ich mein Krozair-Langschwert gegen übermächtige Gegner eingesetzt; jetzt mußte ich es gegen winzige Mörder erheben, die nur zehn Zentimeter lang waren. Mit vier schnellen Hieben löste ich die Lederschnüre. Ich bückte mich, hob den Mann hoch, wobei ich ihn mit der Linken festhielt und dabei mit der Breitseite des Schwerts zuschlug. Schon schwärmten die Rieseninsekten an meinen Beinen hoch, über meinen Rücken, an den Armen entlang. Überall am Körper spürte ich schmerzhafte Bisse. Ich hüpfte und trampelte herum und warf die zerquetschten kleinen Leiber in alle Richtungen.
Der Mann war offensichtlich nicht mehr zu retten. Ich hatte ihn nur vor der Todesart bewahrt, die andere Menschen – oder Kreaturen – ihm zugedacht hatten.
Als ich die letzte Ameise losgeworden war und meine Haut abgerieben und den Mann sanft in das weiche Gras legte, wußte ich, daß er nur noch wenige Minuten zu leben hatte. Der größte Teil seines Unterleibs und seiner Beine war bereits bis auf die Knochen abgefressen worden; sein Brustkorb lag teilweise bloß, nur der Kopf wies – bis auf die Augen – noch eine gewisse Menschenähnlichkeit auf.
Er versuchte etwas zu sagen. Krächzlaute kamen aus seinem Hals, und seine nutzlosen Arme versuchten sich in meine Richtung zu heben.
»Ganz ruhig, mein Freund«, sagte ich in der universalen kregischen Sprache. »Du wirst bald schlafen und keinen Schmerz mehr spüren.«
»So...«, sagte er. »Sos...« Er brachte schließlich das Wort gepreßt heraus: »Sosie!«
»Ganz ruhig, Dom.« Ich entkorkte meine Wasserflasche, füllte sie am Fluß und schüttete ihm Wasser über das Gesicht und zwischen die Lippen. Seine Zunge leckte gierig. Ein Teil des Blutes wurde fortgewaschen.
»Rette meine Sosie!«
»Ja.«
Er wußte wohl, daß er starb, und seine Stimme wurde fester.
»Ich bin Mangar na Arkasson. Sosie! Sie – die Teufel aus Cherwangtung haben sie gefangen ... sie haben sie ... die Ameisen! Die Ameisen! «
Wieder befeuchtete ich seine Lippen. »Beruhige dich, Dom, beruhige dich.«
Auf seiner Haut schimmerte nun der Schweiß im rosa Licht des vierten Mondes von Kregen. Er war ein stolzer und eindrucksvoller Mann gewesen. Trotz der Pein zeigte sein Gesicht Hochmut und Stolz. Seine Züge waren fast negroid zu nennen, hart und fest und mit einem großen, beweglichen Mund.
»Schwöre es!« flüsterte Mangar na Arkasson. »Schwöre, daß du meine Sosie von den Teufeln aus Cherwangtung erlöst!
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