DREAM - Ich weiß, was du letzte Nacht geträumt hast (German Edition)
sehen. Janie ist so etwas noch nie gelungen.Aber sie versucht es in jeder Lesestunde. Vielleicht versucht sie es an diesem Wochenende mit Carl.
22:06 Uhr
Janie hat die letzte Akte fast durch. Sie reibt sich beim Lesen die Schläfen. Ihr Kopf tut weh. Sie nimmt ein Aspirin und holt sich ein Glas Wasser aus der Küche, dann liest sie weiter.
Sie ist fasziniert. Verzaubert. Sie bereitet eine Liste von Fragen für Miss Stubin vor. Sie möchte sie bald wieder treffen.
Endlich schließt sie die letzte Akte und legt sie weg. Jetzt sind nur noch ein paar lose Papiere und ein dünnes grünes Notizbuch übrig.
Janie sieht sich die Papiere an. Es sind Aufzeichnungen in einer unleserlichen Handschrift, die sich nicht an die Zeilen halten. Die Akten sind zum Glück in Tippschrift. Miss Stubin musste die handgeschriebenen Aufzeichnungen spät verfasst haben, nach ihrer Pensionierung, als sie ihr Augenlicht bereits verloren hatte.
Janie legt die Papiere beiseite und schlägt das Notizbuch auf.
Sie liest die erste Zeile. Sie ist in einer beherrschten, aber unregelmäßigen Handschrift geschrieben – auf jeden Fall leserlicher als die Blätter neben Janie auf dem Bett. Die Zeile sieht aus wie ein Buchtitel.
Eine Reise ans Licht
von Martha Stubin
Unter dem Titel befindet sich eine Widmung.
Dieses Tagebuch ist den Traumfängern gewidmet. Es ist ausdrücklich für jene geschrieben, die meinen Spuren folgen werden, wenn ich nicht mehr bin.
Die Informationen, die ich weitergeben will, haben zwei Bestandteile: Freude und Furcht. Wenn du nicht wissen willst, was auf dich zukommen wird, dann schließe dieses Tagebuch jetzt bitte. Blättere nicht um.
Aber wenn du genug Mut hast und den Wunsch, gegen das Schlimmste anzukämpfen, dann solltest du es lieber wissen. Allerdings kann es dich dein ganzes Leben lang verfolgen. Bitte überlege es dir gut. Vielleicht enthält das, was du lesen wirst, doch mehr Furcht als Freude.
Es tut mir leid, dass ich dir diese Entscheidung nicht abnehmen kann. Das kann niemand. Du musst sie allein treffen. Bitte bürde diese Verantwortung nicht anderen auf. Es würde sie zerstören.
Wie auch immer du dich entscheidest, es wird eine lange, schwere Reise. Triff die Entscheidung ohne Bedauern. Denk darüber nach. Hab Vertrauen in deine Entscheidung, wie sie auch ausfallen mag.
Viel Glück, mein Freund
Martha Stubin, Traumfängerin
Janies Magen verkrampft sich.
Sie schiebt das Notizbuch von ihrem Schoß.
Klappt es zu.
Starrt die Wand an, kaum fähig zu atmen.
Und vergräbt den Kopf in den Händen.
Dann nimmt sie langsam das Notizbuch, legt es in den Karton, stapelt die Akten darüber und versteckt ihn ganz hinten in ihrem Schrank.
03:33 Uhr
Janie fällt mit Höchstgeschwindigkeit. Sie sieht nach unten, ihr wird schwindelig, und da ist Mr Durbin, wartet darauf, dass sie landet. Er lacht bösartig und streckt die Arme nach ihr aus.
Bevor er nach ihr greifen kann, wird Janie zur Seite gerissen und in die Center Street gesogen, wird durch die Luft gewirbelt und landet auf der Parkbank. Mr Durbin ist weg.
Neben der Bank sitzt Martha Stubin in ihrem Rollstuhl.
»Du hast Fragen?«, fährt Miss Stubin sie an.
Janie versucht erschrocken, wieder zu Atem zu kommen. Sie greift nach der Lehne der Bank. »Was ist passiert?«, ruft sie.
Miss Stubins Blick ist abwesend. Aus ihrem Augenwinkel tropft eine blutige Träne und rinnt ihr langsamüber die faltige Wange. Aber sie sagt nur: »Lass uns über deinen Auftrag sprechen.«
»Aber was ist mit dem grünen Tagebuch?« Janie wird panisch.
»Es gibt kein grünes Tagebuch.«
»Aber … Miss Stubin!«
Miss Stubin wendet sich zu Janie und lacht gackernd.
Janie sieht sie an.
Plötzlich …
… verwandelt sich Miss Stubin in Mr Durbin. Dann schmilzt sein Gesicht langsam weg, bis nur noch ein hohler Schädel übrig ist.
Janie schnappt nach Luft.
Ihr bricht kalter Schweiß aus.
Schreiend fährt sie aus dem Schlaf auf.
Sie wirft die Decke zur Seite und springt auf, macht das Licht an und läuft zwischen Tür und Bett hin und her, während sie sich zu beruhigen versucht.
»Das war nicht real«, versucht sie sich selbst zu überzeugen. »Das war nicht Miss Stubin. Es war ein Albtraum. Es war nur ein Albtraum. Ich habe nicht versucht, dorthin zu gehen.«
Doch jetzt hat sie Angst, wieder einzuschlafen.
Und Angst, wieder in die Center Street zu gehen.
27. Januar 2006
Janie ist mit den Gedanken weit weg, auf der inneren Umschlagseite des
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