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Dreck: Roman (German Edition)

Dreck: Roman (German Edition)

Titel: Dreck: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vann
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erzählst du diese Geschichte nicht. Du stehst nicht vor Gericht. Noch lebst du die Geschichte. Und das hier ist dein Essen für heute.
    Er schob ein Dutzend Cracker zwischen den Brettern durch und hörte, wie sie herankam. Sie schlug gegen die Wand, vor der er stand, und schob die Cracker durch den Spalt zwischen Boden und Wand zurück. Es war ein schmaler Spalt, gerade mal zwei Zentimeter breit, aber Galen wurde nun plötzlich auf ihn aufmerksam. Der gesamte Schuppen stand auf Pfählen, die in den Boden gerammt waren, und die Bretter reichten fast bis zum Boden, steckten aber nicht drin. Sie konnte sich an der Wand entlang ziemlich schnell rausgraben.
    Scheiße, sagte er.
    Was?
    Nichts. Er ging hinten herum zum Geräteschuppen, nahm sich eine der kleineren runden Schaufeln und überlegte, wo er anfangen sollte. Am besten wäre, wenn er ihr einfach folgen könnte. Wenn sie zu graben anfing, würde er Erde zurückschaufeln. Aber das hieß, dass er wach bleiben musste. Nur ein, zwei Stunden Schlaf, und sie kam raus. Was hieß, er sollte jetzt anfangen und rundherum genügend Erde aufhäufen.
    Wenn er zu schaufeln anfing, würde sie allerdings draufkommen. Und sie hatte noch gar nicht angefangen zu graben. Vielleicht kam sie gar nicht auf die Idee. Unglaublich, dass er solche Überlegungen überhaupt anstellte.
    Wir müssen aufhören damit, Mom, sagte er. Wir müssen das irgendwie lösen. Es ist zu schrecklich. Das bin nicht ich.
    Das bist du. Genau das bist du immer gewesen. Dein ganzer New-Age-Dreck von wegen alte Seele und so. Aber du bist ein Mörder. Das bist du.
    Galen schritt den gesamten Schuppen ab, einmal herum, am grauen Holz vorbei, das beinahe bis zum Boden reichte. Der Boden hart, unbestellt, und sie hatte keine Werkzeuge, keine Schaufel, insofern zweifelte er eigentlich, dass sie weit kommen würde, aber es war schwer einzuschätzen. Er war zum Wächter geworden, er bewachte ein Gefängnis.
    Die breitesten Spalten entdeckte er vorne beim Tor, dort setzte er die Schaufel an. Die Erde schwerer als erwartet. Eine volle Schaufel eine tüchtige Menge. Er hatte sich die Kruste so dünn vorgestellt, dass er hindurchfallen und auf die andere Seite des Planeten stürzen konnte,aber jetzt war er sich nicht mehr sicher. Die Welt eine Illusion, doch was im einen Augenblick hauchdünn gewirkt hatte, konnte sich im nächsten verfestigen. Alles beständig in Veränderung. Dass er schaufelte, vielleicht machte das die Erde an dieser Stelle umso dicker. Die Illusion stellte ihn auf die Probe, reagierte auf sein Bewusstsein. Während wir herumlaufen, erschafft sich die Welt immer wieder neu.
    Es ging um die Mühe. Die Erde wurde hier dicker, damit er arbeitete. Die Schaufel wog schwer, damit er das Gefühl hatte, etwas zu tun. Die Welt sträubt sich, und durch unsere Mühen lernen wir unsere letzten Lektionen.
    Das Geräusch der Schaufel, die in die Erde eindrang. Das war ein vielschichtiges, wunderschönes Geräusch, trügerisch schnell und gar nicht aus einem Stück. Und der dumpfe Schlag und das Rieseln von Steinen und Klumpen und feinen Körnchen beim Anheben der Schaufel gemahnten daran, dass wir aus alledem gemacht sind. Unser ganzes Wissen besteht aus Bruchstücken. Strömen, die sich bündeln, um fest zu erscheinen. Das Wesen aller Dinge. Und der Kick bestand im Werfen, wenn er die Schaufelladung gegen das alte Holz warf, gegen die Spalten, und sie in tausenderlei Varianten auftreffen hörte, die sich allesamt als ein einziges Geräusch tarnten, einen einzigen Vorgang.
    Galen wusste jetzt, dass hier etwas Wichtiges geschah. Seine Mutter in diesem Schuppen war ein Geschenk. Dies war seine letzte Lektion. Hier würde er die Unbeständigkeit aller Dinge fühlen und erkennen. Nicht bloß denken oder ahnen, sondern erkennen. Dies war sein Fluss. Galen hatte sich immer an Wasser orientiert im Glauben, seine Meditation sei die von Siddhartha, das Wasser, in dem er alle Dinge sich formen und verflüchtigen sähe, doch Galens ureigene Meditation war eine Meditation über Erde, über Dreck. Er war damit aufgewachsen, wusste schon sein ganzes Leben darum, ohne es zu erkennen. Er lud noch eine Schaufel voll, und die Millionen feiner Körnchen spritzten in Mustern davon und stürzten zu Boden, und er empfand eine unermessliche Freude, einen Kick, der den ganzen Körper erfasste.
    Mein Gott, sagte er. Es war die ganze Zeit vor meinen Augen.
    Was machst du da?, fragte seine Mutter, aber er achtete nicht auf sie. Sie war nur der

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