Drecksspiel: Thriller (German Edition)
Sohn vorbeugte. »Geht’s dir gut, Kleiner?«
»Bin ein Großer!« Jans Lächeln erlosch unter dem Bemühen, seinen Kopf in Davids Richtung zu drehen. Es gelang ihm nicht. Keuchend fragte er: »Hast du mir was mitgebracht?«
»Du weißt, dass ich das nicht darf.«
»Der Doktor hat gesagt …«, Jan hustete, »… ich darf.«
»Hat er das?«
Jan versuchte vergeblich zu nicken. »Mhm.«
»Er hat wortwörtlich zu dir gesagt: Jan, du darfst wieder Schokolade essen ?«
»Mhm.«
»Na, wenn das so ist.«
Ein Lächeln erhellte Jans Gesicht. Für einen Augenblick vergaß David all seine Sorgen. Im nächsten Moment öffnete sich die Tür, und das Deckenlicht flammte auf. Jan kniff erschrocken die Augen zusammen.
Auf quietschenden Crocs schleppte eine Krankenschwester ein Tablett voller Instrumente ins Zimmer. Der Arzt, der einen grünen Kittel, grünen Mundschutz und eine grüne Haube trug, tippte auf einem iPad herum.
»Ah«, machte er, als er David bemerkte.
»Dr. Rösler?«
»Keine Angst, nur Visite.« Der Doktor legte den Rechner auf einen der surrenden Apparate. »Würden Sie bitte kurz den Raum verlassen?«
Die Schwester raffte Jans Bettdecke beiseite. In seinem Findet-Nemo- Schlafanzug, der ihm zwei Nummern zu groß geworden war, wirkte sein magerer Körper noch zerbrechlicher.
In seiner Zeit als Polizist hatte David viele schlimme Dinge sehen müssen, auch verletzte, misshandelte, sogar tote Kinder. Der Anblick war erschütternd gewesen, aber er hatte ihn ertragen können. Seinen eigenen Sohn so krank zu erleben verkrampfte ihm jedes Mal aufs Neue das Herz. Rasch ging er zur Tür.
»Papa?«
David drehte sich um.
»Ich glaube, ich …« Hustend schielte sein Sohn zum Doktor.
David legte den Zeigefinger an die Lippen. »Keine Sorge, das bleibt unser Geheimnis.«
Jan schnappte erleichtert nach Luft. David zwang sich zu einem Lächeln. Erst im Flur atmete er tief durch.
Es war nicht der Anblick seines Sohnes, der ihm die Besuche im Krankenhaus so schwer machte. Auch nicht Jans brüchige Stimme, die an die Schläuche erinnerte, die bis vor kurzem noch in seiner Luftröhre gesteckt hatten. Und daran, wie knapp er dem Tod entronnen war.
Es war die Schuld, die David immer wieder quälte, sobald er an das Krankenbett seines Sohnes trat. Und die Scham, wenn er es erleichtert wieder verließ.
Nach ein paar Minuten quietschte die Pflegerin auf ihren Crocs durch den Flur zum nächsten Zimmer. Dr. Rösler stand noch an Jans Bett.
»Es geht ihm gut«, sagte der Arzt.
»Gut?«
»Er kann wieder selbständig atmen, das ist ein deutlicher Fortschritt. Wenn es so weitergeht, darf er in einer oder anderthalb Wochen wieder nach Hause. Natürlich wird seine Pflege nicht leicht sein, in seinem Zustand und seinem Alter, mit vier Jahren …«
»Ich weiß.« David wollte nicht vor seinem Sohn darüber sprechen. Eigentlich wollte er gar nicht mehr darüber reden.
Nachdem der Arzt sich verabschiedet hatte, löschte er das helle Deckenlicht. An den Wänden krochen Schatten empor. Die grünen und roten Lichter der Apparaturen blinzelten wie neugierige Augen.
Jan hustete. »Hast du dem Doktor …?«
»Nein.«
Sein Sohn musterte ihn streng. »Du weißt doch gar nicht … was ich fragen wollte.«
»Ob ich dem Arzt von der Schokolade erzählt habe?«
»Mhm.«
»Nein, ich habe dir doch versprochen, das bleibt unser Geheimnis.«
»Wirklich?«
»Wirklich!«
»Dann bringst du mir …« Jan verstummte, weil sich hinter dem Rücken seines Vaters jemand räusperte. Seine Augen leuchteten erfreut.
Eine vertraute Frauenstimme sagte: »Hallo, David.«
*
Toni stieß die Tür zum Hermano auf. Zwei Jungs kamen ihm entgegen, einer davon prallte mit ihm zusammen.
»Ey, Fuck, Alter«, maulte der eine, »bist du …?«
»Scheiße, ja, bin ich!«, bellte Toni. »Und jetzt verpiss dich!«
Der Hosenscheißer wollte etwas erwidern.
»Geh weiter!«, fuhr ihn der andere Junge an.
Die beiden rannten die Stufen runter und über die Straße auf und davon.
Toni betrat das Restaurant. Putzfrauen wuselten herum. Vom Portugiesen war nichts zu sehen, aber das hatte nichts zu bedeuten. Dossantos war als Frühaufsteher bekannt.
»Wir haben noch nicht geöffnet«, sagte eine der Frauen.
Toni winkte ab. »Bin mit dem Chef verabredet.«
Mit entschlossenen Schritten folgte er einem Korridor in den hinteren Teil des Gebäudes. An den Wänden hingen Bilder mit stimmungsvollen Motiven aus Trás-os-Montes, Dossantos’ iberischer
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