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Drei Eichen (German Edition)

Drei Eichen (German Edition)

Titel: Drei Eichen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Vorndran
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selbst wenn er eine Dachterrassenwohnung in einem Hochhaus in Manhattan mieten würde. Darum ging es nicht. Er wollte seinen Frieden haben, nichts mehr mit seinem ehemaligen Leben zu tun haben und nur noch von ausgesuchten Freunden kontaktiert werden – und selbst das ausschließlich in Notfällen. Und obwohl er nur noch allein sein wollte, gab es zwei Umstände, die ihn in regelmäßigen Abständen davon abhielten.
    Zum Ersten war er dem einen oder anderen noch den einen oder anderen Gefallen schuldig – aus den unterschiedlichsten Gründen. Meist waren es Ehrenschulden, die er selbst genauso eingefordert hätte. Sogar in seinem Metier gab es so etwas wie einen Ehrenkodex, an den er sich unter allen Umständen halten würde. Zum Zweiten besaß er außerordentliche Fähigkeiten, die ihresgleichen auf diesem Planeten suchten. Diese waren in der Vergangenheit sehr gefragt gewesen und damit auch extrem gut bezahlt und waren es auch heute noch. Beides zusammen stellte eine Kombination dar, die ihn leider daran hinderte, endgültig abzutauchen. Er wusste, dass er nicht verschwinden konnte. Das Loch, in das er kriechen konnte, damit niemand ihn fand, gab es nicht. Irgendwann würde selbst er entdeckt werden, und dann konnte sein Lebensabend sehr kurz werden.
    Was nun diese E-Mail anbetraf, so schien die Aufgabenstellung natürlich gut bezahlt und – gelinde gesagt – außergewöhnlich zu sein. Obwohl er das Geld nicht mehr brauchte, verlangte er es aus Prinzip, weil seine Arbeit es wert war. Sein Auftraggeber wusste anscheinend, dass er den Deutschen kannte. Er hatte früher mit ihm gearbeitet, ihm vor langer Zeit das Jagen beigebracht und auch das Wild mit zwei Beinen und Armen besorgt, das er getötet hatte. Sehr exklusives Wild. Es war ein Ritt auf der Rasierklinge gewesen, vor allem aber lukrativ. Diese Art Jagd hatte seinen Ruf in der Szene verfestigt. Er hatte den Millionären den ultimativen Kick geboten, ihnen gezeigt, wie man sich auf das Wesentliche konzentrierte und seine Leere im Leben mit etwas Neuem, sehr viel Wertvollerem als Geld zu füllen vermochte. Für seine Kunden war es ein weiter Weg gewesen, bis sie das begriffen hatten. Doch als sie ihn verließen, hatte er sie zum Ursprung des Menschseins zurückgeführt, und sie hatten ihre verschütteten Instinkte wiedergefunden. Auch wenn der eine oder andere von ihnen einen steinigen, schmerzvollen Weg hatte gehen müssen, der Überwindung kostete, sie hatten ihn zum Schluss alle beschritten.
    Jetzt, so viele Jahre später, schienen die Jagdgäste von einst in Schwierigkeiten zu sein. Jemand hatte den Spieß umgedreht. Das Wild hatte sich zum Jäger gemausert, und er, Byron Gray, sollte den Mist, den seine ehemaligen Studenten angerichtet hatten, beseitigen.
    Er überlegte. Die Sache könnte auf ihn zurückfallen, sollten sie plötzlich plaudern, weil ihnen jemand eine Waffe an den Kopf hielt oder noch schlimmere Dinge androhte. Er wusste, wovon er redete, weil er oft genug auf der anderen Seite gestanden hatte. Und er hatte immer alles erfahren, was er wollte. Sollte das geschehen, dann war der schöne Plan mit der angedachten Restlebenszeit in seiner Hütte im Arsch, und das war vollkommen inakzeptabel. Für Fälle wie diesen gab es den »Code Red«.
    Byron Gray war klar, was er zu tun hatte. Er würde sämtliche Spuren beseitigen, die zu ihm führen konnten.
    Er schob die Papiere wieder in den Umschlag zurück und steckte sich erst einmal eine Pfeife an. Das alles musste gründlich überdacht werden. Vor allem brauchte er sämtliche Informationen, die verfügbar waren, erst dann würde er nach Knoxville fahren, einen Flug nach good old Germany buchen, das Wild aufspüren und es jagen. Mit der Sprache würde er keine Schwierigkeiten haben, Deutsch konnte er ganz gut. Seine Mutter stammte aus der Nähe von Fulda in der Rhön, und er selbst war als GI in Wildflecken stationiert gewesen, in der Nähe ihres Geburtsortes Gersfeld. »Wild Fleck City«, so hatten die Deutschen den Standort damals scherzhaft genannt. Mit seinen Opfern würde er sich jedoch nicht unterhalten, sondern sie töten. Denn genau das hatte er vor. Er würde jagen und töten.
    Nachdenklich nahm er die ersten Züge. An der hölzernen Unterseite des Balkons verfingen und verwirbelten sich die Tabakschwaden in den vom Morgentau benetzten glitzernden Spinnennetzen. Europa, dachte er, und fast romantische Gefühle stiegen in ihm auf. Das würde bestimmt interessant werden. In Europa war er

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