Drei Eichen (German Edition)
schon Schlussfolgerungen, mit denen ihr aufwarten könnt? Wenn ja, ich höre.«
»Na ja«, begann Lagerfeld, »zuerst einmal gibt es etwas zu dem Toten auf dem Staffelberg. Fakt ist, dass der Mann von einem sehr geübten Bogenschützen getötet worden ist. Ein Laie trifft niemals jemandem aus siebzig Metern mitten ins Herz. Dann glaube ich, dass es da um irgendeine persönliche Sache ging. Wenn’s nur um das Umbringen als solches gegangen wäre, hätte der Täter doch andere Möglichkeiten gehabt, Herrn Simon vom Leben in den Tod zu befördern. Für mich war das eine Demonstration, eine Art Hinrichtung, die, warum auch immer, mit einem Bogen stattfinden musste.« Lagerfeld lehnte sich nun seinerseits im Stuhl zurück.
»Da gibt es noch etwas anderes«, meldete sich Cesar Huppendorfer zu Wort. »Wenn Siebenstädter recht hat, dann liegen die Toten schon ziemlich lange am Windrad, allerdings wurden sie seiner Meinung nach nicht gleichzeitig dort vergraben, sondern im Laufe der Jahre. Genaueres muss er erst noch rausfinden. Ich habe noch ein bisschen im Bogensport-Umfeld recherchiert, und mir ist etwas aufgefallen. Die Spitze, die ihr in dem einen Skelett gefunden habt, stammt von einem abgebrochenen Karbonpfeil mit einer Dreiklingen-Jagdspitze. Pfeile dieser Art werden eigentlich hauptsächlich für Compoundbogen verwendet, zum Jagen im Wald, weil sie kleinere Maße haben, also viel handlicher sind. Zudem haben die Dinger eine Zugkraft von bis zu siebzig Pfund. Der Pfeil, mit dem Josef Simon getötet wurde, unterscheidet sich allerdings davon. Es ist ein Hochleistungs-Aluminiumpfeil mit einer Karbonummantelung. Er hatte eine ganz normale Spitze, wie sie auch für das Schießen auf Zielscheiben verwendet wird. Pfeile wie dieser sind sehr viel dünner und werden auch noch nicht so lange hergestellt. Was ich damit nur sagen will: Es gibt sehr wohl Parallelen zu dem Fall auf dem Staffelberg, aber es gibt auch signifikante Unterschiede, die wir nicht außer Acht lassen sollten.«
Haderlein und Lagerfeld hatten Cesar Huppendorfer äußerst interessiert zugehört. »Ich hätte es nicht besser ausdrücken können, Cesar«, sagte Haderlein anerkennend. »Meine Herren, das ist doch schon mal eine Grundlage, auf der sich arbeiten lässt. Ich schlage vor, wir heften unsere Fakten jetzt geordnet an unsere Magnetwand, und anschließend möchte ich von euch beiden Ideen zum weiteren Vorgehen hören. Alles klar? Dann an die Arbeit.«
Sogleich entstand professionelle Betriebsamkeit, und die Magnettafel an Haderleins Fensterwand füllte sich mit Zetteln, Fotos und Hinweispfeilen.
Franziska hatte also ihre Sprache wiedergefunden. In kürzester Zeit reagierte ihre Umwelt so, als hätte es das sprachlose Kind niemals gegeben. Es schien so, als wäre sie ein völlig normaler, fröhlicher Teenager, der keinerlei Auffälligkeiten zeigte. Nicht in der Schule, nicht im Sportverein und auch nicht zu Hause bei ihrer Pflegemutter, mit der sie nun eine kleine Familie bildete.
Doch was damals am Steinbruch von Ludvag geschehen war, darüber verlor sie nach wie vor kein Wort. Obwohl noch immer nicht klar war, ob an jenem Freitag vor den Pfingstfeiertagen überhaupt etwas passiert war, vermuteten es die Spezialisten. Franziska hatte es bestimmt nicht grundlos die Sprache verschlagen. Doch auf Nachfrage von Polizei, Psychologen und Claudia Büchler erklärte sie beharrlich, keine Erinnerung mehr an diesen Nachmittag zu haben. Irgendwann ließen die Fragen dann nach. Der Psychologe hatte erklärt, dass es durchaus so sein könnte, dass sich ein traumatisches Erlebnis vom menschlichen Bewusstsein abspaltete, quasi in eine psychologische Bad Bank ausgelagert wurde. Dort blieb dieses Trauma dann und wurde von dem ihm eigenen Menschen ignoriert. Eine Selbstschutzfunktion, die oftmals erst das Weiterleben ermöglichte.
Auch Claudia Büchler ließ es schließlich damit bewenden. Es half ja nichts, ständig in der Vergangenheit zu wühlen. Das Leben war nun einmal so, wie es war, besser, man nahm es an und lebte es, so gut man konnte. Damit war die Geschichte für sie gegessen, und in der Folgezeit kamen die Gedanken immer seltener und waren auch nicht mehr so schwer. Für Franziska hatte jetzt ein neues, ein glückliches Leben begonnen.
Pippi
Zu zweit saßen sie auf der Kante von Franz Haderleins Schreibtisch und betrachteten die Magnettafel. Nur der Schreibtischbesitzer stand etwas abseits und besah sich das Ergebnis ihrer bisherigen Ermittlungen
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