Drei Eichen (German Edition)
Seite aus. Dafür entwickelte Haderlein nach und nach eine bemerkenswerte Hektik auf dem höchsten der Eierberge.
»Ich glaube, da ist eine ziemlich üble Nummer abgelaufen, Herr Fiederling, eine sehr üble«, sagte Haderlein zu dem Männchen, als er mit den Pflöcken fertig war. »Ich befürchte, Ihre Fundsache ist viel umfangreicher, als Sie sich das gedacht haben.« Er setzte sich auf den Boden, lehnte sich mit dem Rücken an einen Reifen seines Landrovers und schien fürs Erste schweigend nachdenken zu wollen. So blieb er denn auch tatsächlich sitzen, bis die ersten Einsatzwagen der Bamberger Bereitschaftspolizei in der einsetzenden Dämmerung mit Blaulicht auf dem Eierberg-Gipfel eintrafen.
Claudia Büchler war wütend, wütend auf sich, auf die vertane Arbeit und auf diesen verdammten Regen, der jetzt schon wieder eingesetzt hatte. Aber es half ja alles nichts, sie musste diesen Tag abhaken und weitermachen, so war das manchmal im Leben.
Sie öffnete die Fahrertür ihres Renault, als sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung am Rand des Steinbrucheinganges ausmachen konnte. Mit zusammengekniffenen Augen schaute sie angestrengt in die Richtung, ob sie sich nicht doch vielleicht geirrt hatte. Aber ihre Augen hatten sie nicht getrogen. Am Eingang des Steinbruchs von Ludvag stand ein Kind auf einer Böschung. Ein tropfnasses kleines Mädchen mit einem Blumenstrauß in der Hand. Es blickte starr zu ihr herüber. Wo kam denn in diesem Sauwetter plötzlich ein Mädchen her?, wunderte sich Clax Büchler. Und wo waren seine Eltern?
Kurz entschlossen lief sie zu dem Mädchen hinüber, stellte sich vor ihm in den Matsch und schaute in seine Augen. Doch der Blick der vielleicht Zwölfjährigen ging durch sie hindurch in die Ferne.
»Wie heißt du? Wo sind deine Eltern?«, fragte Claudia Büchler und hielt das Kind mit beiden Händen an den Schultern. Aber das blonde Mädchen mit den zwei langen Zöpfen stand nur starr und stumm vor ihr und reagierte auf keine ihrer Fragen, während der Regen ihre Kleidung durchnässte. Jetzt erst sah sie, dass die Strumpfhose des Mädchens gelb verfärbt war. Hatte es etwa in die Hose gemacht? Was war mit dem Kind los, zum Teufel?
Schließlich gab Claudia Büchler auf und handelte. Sie nahm das Mädchen an der Hand und führte es zu ihrem Wagen, an dem die Fahrertür noch immer offen stand. Das durchgefrorene Kind legte sich auf die Rückbank des Renault. Dass es dabei ihre mühsam erarbeiteten Entwurfsskizzen zerdrückte, war Clax Büchler egal. Sie hatte in den Augen des Mädchens etwas gesehen, was sie zutiefst erschreckte. Sie schaute noch einmal nach hinten.
»Keine Angst«, sagte sie sanft, »jetzt bring ich dich erst einmal ins Trockene, und dann werden wir deine Eltern suchen, okay?«
Ohne zu zögern, startete sie den Motor des Wagens, wendete den Renault und fuhr im strömenden Regen die Straße hinunter nach Scheßlitz.
Teil 2
Die Toten erwachen
Die Toten
Die Toten starben nicht. Es starb ihr Kleid.
Ihr Leib zerfiel, es lebt ihr Geist und Wille.
Vereinigt sind sie dir zu jeder Zeit
in deiner Seele tiefer Tempelstille.
In dir und ihnen ruht ein einiges Reich,
wo Tod und Leben Wechselworte tauschen.
In ihm kannst du, dem eigenen Denken gleich,
den stillen Stimmen deiner Toten lauschen.
Und reden kannst du, wie du einst getan,
zu deinen Toten lautlos deine Worte.
Unwandelbar ist unsres Geistes Bahn
und ewig offen steht des Todes Pforte.
Schlagt Brücken in euch zu der Toten Land,
die Toten bau’n mit euch am Bau der Erde.
Geht wissend mit den Toten Hand in Hand,
auf dass die ganze Welt vergeistigt werde.
Manfred Kyber
Die Toten
Der Chef der Spurensicherung, Ruckdeschl, erhielt den Anruf von Honeypenny, als er sich auf dem Weg zur Bergkerwa in Erlangen befand. Die schöne Tradition, sich zu Pfingsten den völlig überfüllten Erlanger Hügelkellern hinzugeben, wollte er eigentlich auch an diesem Pfingstwochenende fortführen. Aus diesem Grund war er reichlich kurz angebunden und versuchte wirklich alles, um von Honeypenny von Polizeiarbeit freigestellt zu werden. Zudem waren die Angaben, um welche Leichenfunde es sich denn handelte, mehr als dürftig. Doch da stieß er bei ihr auf Granit. Honeypenny hatte strikte Anweisungen von Franz erhalten, dass Ruckdeschl unbedingt auflaufen musste.
»Was soll das heißen, Franz weiß nicht genau, wie viele?«, raunzte er noch einmal unwirsch ins Telefon. »Es muss doch möglich sein, eine Angabe darüber zu machen,
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