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Drei Eichen (German Edition)

Drei Eichen (German Edition)

Titel: Drei Eichen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Vorndran
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deuteten zum Himmel. Dort waren wieder dunkle Regenwolken aufgezogen, der nächste Schauer kündigte sich an. Dann hörte sie einen Namen, laut und deutlich, zwei Mal, der sich wie ein glühendes Zeichen in ihre Seele brannte, und wenige Augenblicke später waren die Männer genauso schnell verschwunden, wie sie aufgetaucht waren. Kurz darauf meinte sie noch, das Geräusch eines wegfahrenden Autos vernehmen zu können, dann war es wieder ruhig. So ruhig wie vorher, als sie hier heraufgelaufen war, um Blumen für ihren Vater zu pflücken.
    Sie blieb noch ein paar Minuten in der gleichen Stellung in dem Gebüsch hocken, obwohl außer dem leichten Wind, Vögeln und umherfliegenden Insekten nichts mehr zu hören war. Ihr Verstand hatte ausgesetzt, sie konnte nicht mehr denken, sie wollte nur noch weinen, schreien, sie wollte aufspringen und ihren Vater suchen. Andererseits fürchtete sie sich auch davor, ihn da unten zu finden, wobei: Eigentlich fürchtete sie sich noch mehr davor, ihn nicht zu finden. Ihre Gedanken und Gefühle überschlugen sich, ihr Verstand konnte den Tsunami an psychischer Belastung nicht mehr verarbeiten. Es war alles zu viel. Ihr Gehirn reagierte automatisch. Es schaltete einen Teil von sich einfach ab, schob alle dunklen Gedanken in einen Raum, schloss zu und warf den Schlüssel weit weg, um das Schlimmste zu verhindern. Übrig blieb das karge psychische Gerüst eines verängstigten Mädchens, das nicht mehr wusste, wie es sich verhalten sollte. Dann hörte sie, wie die ersten Regentropfen die obersten Blätter des Gebüsches trafen. Die große dunkle Wolke begann ihre schwere, nasse Ladung Richtung Erde zu entlassen. Als der Regen immer heftiger wurde, hörte sie eine Frauenstimme. Zuerst zuckte sie verängstigt zusammen, dann aber verstand sie die Worte.
    »Herr Groh, hallo, sind Sie noch da?« Die Frau rief nach ihrem Vater. Die Frau kannte ihren Vater, und die Männer hinderten sie nicht am Rufen. Anscheinend waren sie fort. Der Regen prasselte nun wie aus Kübeln auf sie hinab, die Frau war nicht mehr zu hören. Sie war nass, sie fror, sie hatte noch immer furchtbare Angst und wusste nicht, wohin – und trotzdem musste sie eine Entscheidung treffen.
    Haderlein ließ sich von Fiederling den Weg zeigen. Gemeinsam fuhren sie mit seinem Landrover über mal enge, mal breite Waldwege die Eierberge hinauf. Am höchsten Punkt öffnete sich der Wald zu einer großen Lichtung, und sie standen vor dem neu erbauten höchsten Windrad Europas. Der gewaltige Rotor drehte sich langsam und gemächlich im Wind. Ein fast Ehrfurcht gebietender Anblick.
    Haderlein stieg aus, holte die Kanthölzer und eine Axt aus dem Kofferraum und winkte Riemenschneider und Fiederling zu sich.
    »So, Herr Fiederling, jetzt zeigen Sie mir doch mal, an welcher Ecke des Fundamentes dieser Arm ausgegraben wurde.«
    Fiederling nickte, ging zum südlichen Ende der Windkraftanlage voraus und deutete am Rand des Fundamentes auf den Boden. »Genau hier«, sagte er im Brustton der Überzeugung. »Genau hier in der Ecke.«
    Haderlein ging in die Knie und schlug an der benannten Stelle mit umgedrehter Axt einen roten Pflock ein. Dann betrachtete er das Gelände ringsherum. Alles war mehr oder weniger eben. Es gab weder Bäume noch Büsche, nur kleine Sträucher, Blumen und Gräser. Um die Fläche für die Bauarbeiten zu schaffen, hatte man gemäht und abgeholzt, aber nicht das gesamte Erdreich um die Baustelle herum mit Baumaschinen umgegraben. Gut, das hatte er sich schon gedacht. Haderlein kraulte seine Riemenschneiderin hinter den Ohren, dann gab er ihr wieder den Befehl, den sie so gut kannte und der sie schon zu manchem Abenteuer geführt hatte.
    »Such«, sagte ihr Herrchen, dann lief das kleine Ferkel auch schon los.
    Was dann kam, würde Baustellenleiter Hubert Fiederling sein Lebtag lang nicht mehr vergessen. Das kleine Schwein rannte in einem Affentempo kreuz und quer über das Plateau, dann stoppte es und setzte sich auf sein Hinterteil, um das merkwürdige Knurren auszustoßen, das er von ihm schon an der ICE -Strecke gehört hatte. Haderlein griff sich schnell ein paar von den rot gestrichenen Kanthölzern, die noch von der Bodenvermessung hier herumlagen, und während er an der Stelle, wo das Ferkel angeschlagen hatte, einen weiteren Pflock einschlug, lief Riemenschneider schon wieder los, um sich gleich darauf wieder knurrend niederzusetzen. Das Ganze wiederholte sich vier Mal, dann war Ruhe. Zumindest von Riemenschneiders

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