Drei Frauen im R4
Renate, was Marco als Zustimmung verstand. Er setzte sich neben sie und fing gleich an zu erzählen, dass er nach Italien trampte und was für ein Glück das war, dass er uns getroffen hatte, und wie schön es doch war, hier auf der Bank mit uns zu sitzen. Renates Augen strahlten.
So schnell hatte ich nicht mit Herrenbesuch gerechnet. Und Renates in den letzten Jahren an den Tag gelegte Gleichgültigkeit gegenüber Männern? Hatte sie den Männern nicht abgeschworen? Mit zwanzig hätten wir Marco eingepackt. Aber wir waren fünfzig, und ich brauchte meinen Platz.
Marco schnorrte eine Zigarette von Renate und paffte angeberische Ringe. Er hatte damit schon ganz das Gehabe drauf wie die Typen in meiner Abteilung, wenn sie von ihrem Dienstwagen erzählten. Komisch, dass Männer sich so wichtig nahmen – und ihre Ringe auch.
»Vor Weißenburg habe ich lange warten müssen, keiner wollte mich mitnehmen.«
Wieder blubberte ein perfekter Ring aus seinem Mund, und Renate probierte es auch schon. Wie zwei Steiff-Bären mit Pustefix hockten die beiden auf der Bank. Nele pochte verstohlen auf ihre Uhr. Es war eine frühe Digitaluhr, mit eckigen Ziffern, deren Anzeige 3551 als »Esel« gelesen werden konnte. Wenn Nele meinte, dass ich nun zum Aufbruch drängen würde, dann hatte sie sich geschnitten. Für meinen Teil hatte ich heute schon genügend Fett abbekommen, also blieb ich schweigsam und lauschte interessiert der warmen Luft, die aus Marcos Mund selbst nach den Ringen kam.
»Ich bin aus Berlin, und ihr?« Nicht antworten, dachte ich. Die Frage ist nur rhetorisch gemeint, auch das kannte ich von den wöchentlichen Sitzungen im Büro.
»Die meiste Zeit im Jahr lebe ich in Berlin. Ich studiere dort. Urbanes Lebensdesign!« Urbanes Lebensdesign. Boah!
Nele sah mich hilflos an. Was will der Kerl?, schien sie zu fragen.
Renate stand bereits unter Narkose und nahm den Berliner Jungen ernst. Auch meine kritischen Zwischenfragen würden sie nicht zur Besinnung bringen, also nutzte ich die Situation, um den Flirt im Alter zu beobachten. Ich meine, das war hier doch wie Lernen am offenen Herzen. Kaum taucht so ein Lockenköpfchen auf und bläst ein paar Ringe in die Luft, schon sind die Frauen hin und weg. Außer mir natürlich. Ich machte mir nichts aus jungen Männern. Außerdem hatte ich einen Mann daheim. Und Renate, deren Anti-Männer-Eid war erkennbar bedeutungslos geworden. Die satten zwanzig Jahre zwischen ihr und Marco, kein Problem! Wenn man immer mit Kindern und Jugendlichen zu tun hat, dann ist man so und so dreimal jünger, und Zahlen und Geburtsjahrgänge, du liebe Zeit, die bedeuten nichts. Völlig verstaubt und konservativ, wer heute noch in Jahresringen denkt.
»Berlin ist viel freier als dieses komische Weißenburg.« Marco sah sich um. »Das ist hier voll das Rentnerparadies. Ganz brav hintereinandergehen, wie die Enten. In Berlin hätte das Volk schon längst die Straße instand besetzt.«
Instand besetzt! Ich atmete konzentriert ein und aus und legte dabei die Zunge an den Gaumen. Das half, hatte ich im Yoga gelernt, wenn man kurz davor ist, aus der Haut zu fahren. Renate klimperte mit den Wimpern. O ja, mit Instandbesetzungen kannte sie sich aus, sie kam nur nicht dazu, davon zu erzählen, weil nämlich Marco unter verbalem Dünnpfiff litt.
»Berlin hat mich versaut«, versuchte er sich besser zu erklären. »Das ist so, wenn man in dieser Megacity lebt. Dann kannst du nicht mehr zurückschrauben, weil die Ansprüche einfach zu sehr gestiegen sind. Aber na ja, man will ja trotzdem was sehen und reisen. Nur Weißenburg, das ist echt too much für mich.«
»Ich finde es hier sehr gesellig«, überspielte Nele die Tatsache, dass wir Anfang zwanzig Weißenburg auch schon ziemlich lahm gefunden hatten. Der Kaffee, die Eclairs, die Zigaretten und die Franzosen waren aufregend, aber die Stadt an sich? Und die Aspirin und die Kosmetik, die waren in Weißenburg billiger gewesen. Aspirin … hatten wir so was wohl dabei?
»Haben wir eigentlich Aspirin dabei?«, erkundigte ich mich sofort bei Nele, weil Renate mit anderem beschäftigt war.
»Wie kommst du denn jetzt da drauf?«
»Weil das gegen Schädelbrummen hilft!«
Meine Augenbrauen tanzten zu Marco und Renate hin.
»O ja, Berlin ist super«, hauchte Renate schon ganz verträumt und beamte sich hundertprozentig in das alte Westberlin der 80er Jahre, das damals ein Magnet für Kriegsdienstverweigerer und Späthippies aller Art gewesen war. War Marco
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