Drei Frauen im R4
zu dieser Zeit wohl schon geboren? Freundin, die ich war, erkundigte ich mich nicht. Nele rutschte unruhig hin und her. Die Kaffeebecher waren leer, und wir wollten heute noch eine ganz schöne Strecke hinter uns bringen. Mindestens bis Basel. Missmutig zerknautschte auch ich den Pappbecher in meiner Hand, doch Renate war für Signale nicht empfänglich Sie kicherte wie ein junges Mädchen und ließ ihre Fußglöckchen verführerisch erklingen. Marco hingegen wurde nicht müde, ihr von seinem Studium zu erzählen und von der Website, die er mit drei Kumpels plante. Na und?, dachte ich. Sollte das vielleicht ein Kracher sein? Eigentlich sprach er nur mit Renate. Er absorbierte sie! Das war unhöflich! Das war … gemein! Ein echter Macker war das. Ein Scheißmacker! Ich wollte Marco loswerden. Aber Renate stellte eine wissbegierige Frage nach der anderen. Minütlich wollten mehr und mehr ihrer Abiturienten auf einmal Urbanes Lebensdesign studieren, was immer das auch war, und selbstvergessen spielte sie mit ihren Zöpfen, in die Marco bereits ein grünes Seidenband geflochten hatte. »Das passt so gut zu deinem maronibraunen Haar und der schönen Feder.«
Es war klar, er flog ebenfalls auf sie. Renate sah einfach hinreißend aus und lebte unsere Kostümierung vorbildhaft, weil es für sie nämlich keine war. Völlig authentisch bewegte sie sich in ihrer Kluft und wurde dadurch so anziehend wie eine Apfelschorle in der Sonne für die Bienen.
»Jetzt reicht’s«, hörte ich mit einem Mal Nele leise fluchen. »Wir kommen gleich wieder«, und damit entschied sie, dass ich mit ihr auf die Toilette zu gehen hatte.
Kaum hatten wir die Tür hinter uns zugezogen, polterte sie auch schon los.
»Das gibt’s doch nicht! Wir sind gerade mal zwei Stunden unterwegs!«
»Die reine Fahrzeit zu dritt beträgt nur dreißig Minuten«, korrigierte ich sie detailverliebt.
»Ach was«, wischte sie meine Genauigkeit weg. »Kannst du mir sagen, was das da draußen soll? Ich denke, sie will keinen Mann mehr! Ich denke, sie hat die Schnauze voll! Ich denke, niemand soll in Gegenwart von Renate das Wort ›Liebe‹ auch nur denken!«
Stocksauer riss sie sich ein Papiertuch aus dem Halter und schnäuzte lärmend in das arme Tuch hinein. »Warum machen wir das hier denn alles?« Mit einer heftigen Bewegung schmiss sie das zerknüllte Tuch zielsicher neben den Eimer. »Für wen denn? Doch nur wegen Renate, weil sie unbedingt den Italiener wiedersehen wollte. Jahrzehntelang lag sie uns damit in den Ohren, dass ich es schon gar nicht mehr hören wollte.«
»Äh …«, versuchte ich es kurz.
»Oh, oh, oh! Maurizio und Olivenöl und bella Italia und Schafskäse …«
All das hatte Renate nie gesagt. Eins war klar, jetzt schnappte auch noch Nele über!
»Wieso klebt sie dann auf dieser Bank?« Pause. »Sie lacht! Sie lässt die Füße tanzen!« Pause. »Der, der, der …«, sie rang förmlich nach Luft, »dieser … der … der …«
»Marco«, half ich ihr sachlich aus.
»… der will sie doch nur vernaschen!«
Was nicht das Schlechteste war, was man unserer Freundin wünschen konnte.
Ich hob Neles Schnupftuch auf und warf es ruhig in den Eimer.
»Hättest du vielleicht auch gerne einen kleinen Flirt?«, klopfte ich vorsichtig mal an, und ein Atompilz stieg aus der Weißenburger Toilette auf. Nein, erwiderte Nele scharf, sie wollte ganz sicher keinen Flirt und schon gar nicht mit so einem jungen Typen. Es ging hier nicht ums Flirten, sondern um Regeln und eine gemeinsame Zeit.
»Das war nicht abgemacht!«, schimpfte sie und stemmte die Hände in die Hüften.
»Was willst du denn da abmachen?«, holte ich sie mit etwas lauter werdender Stimme runter. »Über Männerbekanntschaften haben wir gar nicht gesprochen, und wenn, dann nur du! Mach bitte mal halblang! Der Typ ist gleich wieder weg, und dann gibt es nur noch uns. Kein Drama! Außerdem haben wir uns ’81 alle ständig und überall verknallt, also macht Renate alles richtig!« Ich legte eine gönnerische Pause ein. »Auch du!«
Sollte sie sich ruhig an ihre Nächte in fremden Zelten erinnern.
»Renate will doch gar nichts von dem«, redete ich besänftigend auf Nele ein. »Die plaudert doch nur ein bisschen.« In diesem Moment hörten wir Renate draußen so laut lachen, dass es durch alle Wände drang.
Eine Stunde später saßen wir noch immer vor der Konditorei. Und das, obwohl Nele direkt nach unserem Toilettengang um Weiterfahrt gebeten hatte.
»O ja«, hatte Renate
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