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Drei Frauen im R4

Drei Frauen im R4

Titel: Drei Frauen im R4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Weiner
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blätterte ich durch die Zeichenwelten, die sich vor mir auftaten. Neben Franziska Becker hatte auch F. K. Waechter seinen festen Platz in meinem Bücherregal gehabt. Bis zum Ende seines Lebens war er seinem künstlerischen Werk treu geblieben, und nun, nachdem meine Seele sich gemeldet hatte, war mir auch klar, wieso ich bei einem seiner letzten Interviews vor dem Radio hängengeblieben war. Alles hat mit allem und mit mir zu tun. Gelöst und heiter blätterte ich mich weiter durch die Zeichenwelten und überlegte, ob ein 80er-Jahre-Kabarett nicht interessant wäre. Nicht nur wir, auch die anderen Müslis und Ökosocken waren älter geworden und träumten sich sicher gerne mal zurück in alte Zeiten. Wer weiß, überlegte ich weiter, wie sich die Welt unerwartet drehen und verändern würde, wenn wir uns alle mit einem Mal zu den alten Träumen bekennen. »Frieden schaffen ohne Waffeln«, würde die Eisverkäuferin rufen. »Baum ab, nein danke«, der Straßenbauer. »Kein Kriegsspielzeug in Kinderhände«, der Verkäufer in der Game-Abteilung von Saturn. Unglaublich, ich wunderte mich über mich selbst, welche Ideen einem kommen können, wenn man so herumliegt und sich intensiver mit seiner Jugend beschäftigt. Ich erinnerte mich an das Ergebnis einer Untersuchung, dass Menschen in Altersheimen schlagartig verjüngen, wenn man sie mit den Möbeln, den Gegenständen, der Musik und den Büchern ihrer besten Zeit umgibt. Und mit dem Essen.
    Meine Finger tasteten sich über meinem Kopf am Rand des Zelts entlang und landeten in der Fresstasche mit den Resten der letzten Nacht. Erschrocken zuckte ich zurück, als sich meine Finger in einem klebrigen Etwas verfingen. Iiih, das war das schmierige Käsepapier. Ich betrachtete die zerknüllten Etiketten, konnte aber rückblickend ein Käsedreieck geschmacklich nicht vom anderen unterscheiden. Welches Eck sollte das gewesen sein, Schmelzkäse-Salami-Mischung oder das mit Gurke und rotem Paprika? Das klang alles ganz interessant, aber in Wirklichkeit war es eben Käse gewesen. Die Verpackung hält nicht, was sie verspricht. Ein Satz, der gerne auch mit feministischem Zungenschlag über Männer gesagt worden war. Dieser viele schlechte Käse, den wir uns früher in den kargen WG -Zeiten mittels der Etiketten schöngelesen hatten. Die Dürre im Kühlschrank begann in der Regel am Mittwoch. Dann waren die Käsereste, die wir immer auf dem Bauernmarkt für wenig Geld erstanden, aufgegessen. 99 Pfennig hatten hundert Gramm von dem Notkäse gekostet. Die Zahl hatte sich in mein Hirn eingegraben wie die Tatsache, dass am achten März der internationale Frauentag zu feiern ist. Der Käsehändler mochte uns und hortete für uns immer die schönsten Enden. Heute ahnte ich, dass das nicht nur Reste gewesen sein konnten. Dafür waren die Stücke viel zu groß gewesen. Der Käsemann hatte es einfach gut mit uns gemeint.
    Der Käsemann, der sich mit seinem schwäbischen Charme an uns abgearbeitet hatte, weil wir uns nicht bevorzugen ließen, bloß weil wir Frauen waren. Bloß. Heute wäre ich froh, dachte ich, es würde mich mal jemand bevorzugen.
    »Jetzt schlaf doch ein bisschen«, nuschelte mir Nele mit halbgeöffneten Augen zu. »Du hast Urlaub, denk an was Schönes!«
    Ich versuchte mich in meinen echten Daunen so gut einzukuscheln, wie mir das möglich war, und dachte wieder an Wolfgang. Er fehlte mir, und ich hätte gerne mit ihm gesprochen. Angestrengt und bemüht nahm ich mir vor, wenigstens von ihm zu träumen, weil ich mir nichts sehnlicher wünschte als ein Zeichen seiner Liebe, und sei es nur in einem Traum. Mit diesen Gedanken und dem Jupp von BAP im Ohr taumelte ich in einen tiefen Schlaf, in dem es zwar keine Botschaften gab, aber zumindest gutes Wetter.

Kapitel 9
    Drei Schritte vor und zwei zurück
    - Ulla Meinecke -
    »Ich geh mich nicht waschen«, erklärte Nele. Ausgeschlafen und putzmunter saß sie in ihrem Schlafsack. »Mir ist es viel zu kalt und voll da draußen.«
    Schon nach dem Zeltaufbau hatten wir uns sogar die kleine Katzenwäsche gespart, weil sich vor den drei Duschkabinen des Campingplatzes drei Schlangen von Frauen gebildet hatten, die bewaffnet mit Handtüchern und Waschbeuteln nervös anstanden. Meine campenden Kollegen berichteten mir immer von feudalen Duschanlagen, aber wir waren offenbar in einem Zwergenland gelandet, denn die Waschbecken, Toiletten und Geschirrwaschbecken waren alle derartig niedrig, dass sich bei mir Rückenschmerzen einstellten,

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