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Drei Frauen im R4

Drei Frauen im R4

Titel: Drei Frauen im R4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Weiner
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nach der er Ausschau hielt.
    Aber Joshi sah mich nicht, auch nicht, als ich ganz nah war. Sein Blick suchte immer weiter die Menge ab. Einerseits war ich darüber sehr amüsiert, andererseits verunsicherte mich das auch ein wenig. Erst als ich unmittelbar vor ihm stand, erkannte er mich, und schmerzlich stellte ich fest, dass er mich eher aus Verblüffung küsste als aus Freude über das Wiedersehen.
    »Hui, du riechst aber gut« war alles, was er sagte, und er küsste mich zur Begrüßung viel zu schnell.
    Ich freute mich, dass Joshi der Duft gefiel, und ich war gespannt, wann er was zu meinem Outfit sagen würde. Er wirkte auf einmal sehr jung. Viel jünger als noch in der Nacht. Etwas zu sehr abwägend hielt er mir seine Coladose hin. Vielleicht dachte er, er könnte es mir nicht zumuten, ohne Glas zu trinken? Ich nahm einen herzhaften Schluck, um zu beweisen, dass ich noch immer die von gestern war, und hoffte, dadurch die Distanz etwas zu verringern. Es tat mir leid, dass mein Outfit ein fremdes Gefühl zwischen uns entstehen ließ.
    »Und, was wollen wir heute machen?«, fragte ich Joshi, um irgendwas zu sagen. Mein Herz klopfte schnell, und ich spürte deutlich die Verlegenheit zwischen uns. Joshi legte den Kopf in den Nacken und ließ die Sonne auf sein Gesicht scheinen.
    »Hm, also, ich fahre heute noch mit der Gruppe auf ein Free-hugs-Festival«, gestand er. Da ich meine Enttäuschung nicht verbergen konnte, fügte er hinzu: »Das hab ich gestern noch nicht gewusst. Hat erst vorhin jemand getwittert.«
    »So, so«, erwiderte ich, was die blödeste Reaktion mit Lippenstift und in Pepitahosen ist. Ich setzte mich zu ihm auf den Brunnen. »Ja, schade«, hängte ich noch an und wartete, dass er endlich etwas sagte, das nach Kompliment oder Bedauern klang.
    »Also, äh, eigentlich bin ich nur gekommen, um dir adieu zu sagen«, behauptete er. Ich glaubte ihm kein Wort. Nicht die Twitterei, nicht das Festival und nicht, dass er mich nur kurz zum Abschied hatte treffen wollen. »Es geht gleich nachher schon los, ich wusste nicht, wie ich dich erreichen konnte. Sorry, dass du jetzt extra nach Luzern gekommen bist.«
    Wir saßen nebeneinander, und mit jeder Minute wusste ich mehr, dass sich der Zauber der vergangenen Nacht nicht wiederherstellen lassen würde. Meine Hoffnungen fielen in sich zusammen wie ein Soufflé, das man zu früh aus dem Ofen genommen hatte. Joshi hatte sich in die jung gebliebene Öko-Hippie-Frau verknallt. Und ich, die jung gebliebene Öko-Hippie-Frau, hatte mich in diesen Joshi verknallt, der älter schien, als er war. Doch jetzt, im Tageslicht, in den Kleidern meines normalen Lebens, waren die Anziehung und der Zauber der Nacht dahin. Ich wollte, dass es so war wie gestern, und ich haderte mit mir, weil ich den Zauber unserer Reise gebrochen hatte. Mit den ollen Klamotten, da hätte es funktioniert, dachte ich. Verzweifelt wünschte ich mir, dass etwas passierte, was die Romanze noch einmal aufflammen ließ.
    »Du siehst gut aus«, sagte Joshi endlich in die Stille hinein. »Ganz anders als gestern.« Und ich schmunzelte und zwinkerte ihm zu.
    Wir saßen noch eine ganze Weile miteinander. Hielten uns an den Händen und erzählten belanglose Dinge, die wir nachher schnell vergessen würden. Ich machte ihn auf Passanten aufmerksam, die mich nicht interessierten, und ließ mich von ihm über die Reinheit der Schweizer Flüsse und Seen informieren, die mir in diesem Augenblick völlig gleichgültig waren, wo ich doch krampfhaft etwas festhalten wollte, das mir unaufhaltsam entglitt. Es war klar, dass ich die Begegnung beenden musste, nicht nur weil Joshi dazu zu viel Anstand hatte, sondern weil es mir die einzige Chance schien, mit einem Rest an Stolz und Würde die Szene zu verlassen.
    »Weißt du«, begann ich also, »du warst für mich eine wunderbare Begegnung.« Und er antwortete leise: » The same to you .«
    Dann umarmten wir uns ein letztes Mal, küssten uns sehr lange, ich nickte ihm zu, stand auf und ging. Beim Weggehen drehte ich mich nicht um, obwohl ich wusste, dass Joshi mir nachsah. Ich spazierte langsam von ihm weg und hob die Hand zum Gruß, ohne mich umzudrehen. Die Menschen, das Treiben, die Geschäfte nahm ich nicht wahr, ich war viel zu vertieft in die Überlegung, dass schöne Kleidung oft eine Brücke sein kann, aber manchmal auch Brücken zerstört. Zwar war die Brücke zwischen Joshi und mir nicht komplett verschwunden, ein Teil von ihr würde in uns weiterleben, aber

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