Drei Frauen im R4
dennoch hatte mein Kleidertausch bewirkt, dass er heute der Frau begegnet war, die ich nun mal war, und auf die, ich musste so ehrlich zu mir sein, wäre Joshi nie aufmerksam geworden. Wie auch ich, versuchte ich über die Enttäuschung hinaus ehrlich zu bleiben, in diesen Kleidern nie mit Joshi auf den Berg gefahren wäre. Es hätte weder die Umarmungen noch ihn noch die anderen noch Maiki mit seinen bekloppten Häschenwitzen gegeben. Ja vielleicht nicht mal die Fahrt mit dem Kahn.
Nimm es, wie es ist, dachte ich, und mir kam ein Gedicht in den Sinn, das ich mit Mitte zwanzig auf ein Kärtchen geschrieben hatte und das Trost hieß.
Es geht nichts verloren.
Kein Kuss, kein Lächeln der Augen.
Keine Wärme, die einst floss.
Alles bleibt geborgen und heil im Garten der Liebe.
Egal, was mit uns geschah.
Egal, was wir geschehen ließen.
Egal, mit welchen Worten wir einander verletzten.
Das, was einmal war,
die Nähe, das Gute, das Schöne,
bleibt heil.
In diesem Garten der Liebe,
den wir wieder betreten werden.
Später, wenn wir nicht mehr sind.
Es geht nichts verloren.
Nichts von alledem, was war.
Und nicht nichts von dem, was hätte sein können.
Ich würde Joshi nie vergessen, denn er war ein Geschenk gewesen, und ich wünschte mir, dass etwas geschah, das auch Wolfgang und mich wieder so unbeschwert und verliebt machte wie zu Beginn unserer Liebe. Ich war traurig, dass ich meine Gedanken nicht sofort mit ihm teilen konnte, wie ich es gewohnt war. Denn eines war klar, ich würde nicht mehr versuchen, heimlich zu mailen oder zu telefonieren, das hatte mich der heutige Tag gelehrt.
Vielleicht, so hoffte ich, bringt mein eigener Neubeginn auch wieder etwas Schwung in unsere Liebe. Wolfgang war für mich immer ein guter Berater gewesen, und wenn wir uns über meine berufliche Zukunft austauschten, würde eventuell der alte Glanz in die Liebe zurückkehren. Mit meiner neuen Welt würde sich alles verändern. Ich würde etwas wagen und probieren. Das war sicher. Etwas, das ich mir bislang versagt hatte, und nun war mit dem Versagen und besonders dem Verzagen endlich Schluss. Auf jeder Ebene meines Lebens. Ich versuchte, so gut es ging, wohlgemut aus Luzern hinauszuspazieren, vielleicht etwas stiller im Gemüt, weil es nicht gut ist zu trampen, wenn man nicht in Siegerstimmung ist. Ich hielt den Daumen in den Wind. Fremd kam ich mir auf einmal vor, in diesen Pepitahosen, und ich merkte, wie der BH unter meiner Bluse zwickte.
Ein Saab hielt an, hinter dem Lenkrad eine schöne Frau mit blondem Haar und großer Sonnenbrille. »Hi. Wohin?«, fragte sie.
»Nur ein bisschen geradeaus, etwa drei Kilometer.«
»Aber da ist nichts!«
»Ich weiß.«
Irgendwie fühlte ich mich verloren und vielleicht auch ein bisschen verletzt und zurückgewiesen.
»Luzern ist im Sommer ein Traum, finden Sie nicht auch?« Die Fahrerin versuchte, ein Gespräch zu beginnen.
»Ja, unbedingt.«
Ich konzentrierte mich auf Joshis Geruch in meiner Nase.
»Ist dort ein Hotel?«, fragte die Fahrerin weiter und setzte den Blinker, um zu überholen. Ich hatte überhaupt keine Lust zu reden.
»Ich wohne bei Freunden.«
»Am See?«
»Ja, sozusagen.«
»Wow!«
Ich musste mir verzeihen, dass ich mir Joshi älter gerechnet hatte, als er war, damit nur wenige Jahre zwischen uns lagen. Es war schön!, redete ich auf mich ein und beschwor mich, doch einfach dankbar zu sein, weil solch ein Glück einem nicht oft begegnet.
»Waren Sie auch schon mal in Zürich?« Sie scherte wieder ein.
»Nein.«
»Nein?«
»Äh, doch, natürlich, schon mal, aber nur kurz.«
»Zürich ist ganz anders als Luzern.«
»Mhm. Stimmt.«
Ich hatte Joshi nicht beeindruckt. Gefallen hatte ihm die Frau mit den Bändern im Haar, dem klapprigen Gefährt und den selbstgedrehten Zigaretten. Ich, so wie ich hier im Auto und vorhin am Brunnen saß, hatte ihm nichts zu sagen, und ich bedeutete ihm nichts. Warum hatte ich mir nur die fremden Kleider ausgeliehen?
»Jetzt kann man wenigstens wieder Dampfer fahren.«
»O ja.«
»Der Regen war schrecklich.«
»Stimmt.«
»Es hat ja tagelang geregnet.«
»Allerdings.«
Der Wagen glitt lautlos über die Straßen, und die Landschaft zog an mir vorbei. Kein Röcheln aus dem Radio und keine unbeschrifteten Kassetten, sondern Best of leiser Barmusik . Könnte ich bitte einen Cocktail haben? Einen, der mich vergessen lässt, dass dies genau das Leben sein würde, das in Deutschland auf mich wartete? Und diese Fahrerin,
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