Drei Frauen im R4
Herzklopfen durchbrausten meinen Körper, ich sah mich mit Joshi, wie wir eben noch am Brunnen gestanden hatten, die Nacht, die Umarmungen, ich fragte mich, ob meine Knutschereien schon jetzt zu beichten waren oder erst später, und gleichzeitig wusste ich, dass das gar nicht nötig war, denn mit Wolfgangs Stimme war Joshi bereits so weit weggerutscht, als wäre er niemals da gewesen. Wolfgang, dachte ich nur immer wieder, er liebt mich, er vermisst mich, er hat mich gefunden.
»Woher weißt du …«, fragte ich und versuchte zu begreifen, was ich mir nicht erklären konnte. »Woher weißt du, wo ich bin?«
»Der Rotkreuzladen«, erklärte er mir. »Diese dämliche Nummer und die merkwürdige Auskunft bei meinem Rückruf ließen mir einfach keine Ruhe.«
Meine Güte, der Rotkreuzladen. Vor wie viel Jahrhunderten war das gewesen?
»Es hat mich die ganze Zeit gefuchst, weil ich die Nummer auf dem Display immer wieder sah, und ich dachte, mein Cousin aus Kempten steckt dahinter. Also habe ich heute noch einmal dort angerufen, weil ich es endlich wissen wollte. Es war aber wieder diese Sonja dran!«
Soniia, so konnte es nur Wolfgang sagen.
»Und die war diesmal gesprächiger, erzählte mir alles und beichtete mir dann auch die Geschichte mit dem Hund.«
»Wieso sprichst du von einer Beichte … und ja, wir haben hier einen Hund, Fips, und deswegen sind wir nicht in Italien, sondern noch immer hier in Luzern, aber irgendwann muss ja mal diese Frau kommen, der wir ihn eigentlich übergeben sollen«, sprudelte es nur so aus mir heraus.
»Genau«, unterbrach mich Wolfgang. »All das hat Sonja mir auch erzählt und nannte mir auch den Campingplatz, auf dem ihr mit dem Hundi seid. Nur, jetzt kommt der eigentliche dicke Hund, es gibt keine Gritli, und der Hund wird nie abgeholt werden. Ich war mir ziemlich sicher, dass euch diese Info interessiert.«
Aha, dachte ich in diesem Moment ganz abgeklärt, eigentlich war das ja klar, und ich drehte mich ein wenig weg, weil Urs mir gar so stechend in die Augen blickte.
»Ja aber warum hat sie das gemacht?«
»Willst du den O-Ton haben?«, lachte Wolfgang kehlig. »Sie begründete ihr Verhalten mit der Argumentation: ›Weil manche Menschen zu ihrem Glück gezwungen werden wollen.‹ Ohne diese kleine Lüge, meinte sie, hättet ihr Fips doch niemals mitgenommen.«
»Allerdings«, stimmte ich ihm zu. »Ich hätte ihn nicht mitgenommen. Nele und Renate waren damals da schon weiter.« Wie sie bei vielem weiter gewesen waren, aber das war eine andere Geschichte.
»Sonja war sich sicher, dass ihr verantwortungsvoll seid und hervorragend zu dem Hundi passt. Allerdings bekam sie später doch Gewissensbisse. Aber eher wegen euch, weil ihr doch ursprünglich nach Italien wolltet. Andererseits hatte sie so viel Muffensausen, euch selbst die Sache beizubringen. In dieser Pippi Langstrumpf steckt eben auch eine kleine Annika.«
Mir war klar, was Wolfgang mir damit sagen wollte. Dass Sonja nicht nur ein großes Mundwerk hatte und Kräuterzigaretten rauchte, sondern eben auch manchmal klein und ängstlich war. Ich konnte das nachfühlen, denn auch ich war in meinem Leben manches Mal schon feige gewesen. Also Schwamm drüber, entschied ich schnell, weil es nichts bringt, sich über verschüttete Milch im Nachhinein zu beschweren. Besonders dann, wenn die Milch solch eine drollige Schnauze und einen derart liebenswerten Charakter hat.
»Und wie geht es euch?«, fragte Wolfgang nachdenklich. »Diese Hundegeschichte hat euch wohl ziemlich aufgehalten? Es ist unglaublich, wie lange ihr jetzt schon auf diese Gritli wartet. Das war wirklich nicht fair von Sonja, sie hat euch die Reise ja regelrecht versaut.«
»Das stimmt so nicht ganz«, stammelte ich ins Telefon. »Es ging zwar fast der ganze Urlaub drauf, aber es war die schönste Freundinnenzeit der letzten Jahre.« Fast mehr für mich als für Wolfgang erzählte ich von der neuen Nähe, die zwischen uns entstanden war, dass ich mein Smartphone gar nicht mehr vermisste, auch nicht all meine wichtigen Kontakte, dass ich dafür aber meinen Herzschlag vernommen hatte. Und dass Fips, ja Fips, der süßeste Hund war, den er sich nur denken konnte.
»Du bist ja verliebt«, lachte Wolfgang los, und ja, das war ich. Ich war verliebt in Wolfgang, in mich, in Fips, in meine Freundinnen, die Schweiz und Urs. Und ich war so dankbar, dass der Anruf diesen schönen Anlass gehabt hatte und keinen schmerzvollen. Dass alles so heiter und leicht bleiben
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