Drei Frauen und los: Roman (German Edition)
Obwohl Tami wie immer in eine Boulevardzeitung vertieft ist, fällt ihr auf, dass Tim sich zum allerersten Mal nicht nach jedem Einzelnen erkundigt, dass er sie und die anderen Angestellten nicht fragt, wie es ihnen geht und wie der Tag war. Er macht den Preisstempel kaputt. Er läuft mitten hinein in eine Pyramide aus übergroßen Gemüsesaftdosen und bringt sie zum Einsturz. Eine Stunde lang sitzt er dumpf vor einem Computer bildschirm und weiß kaum, was er hier soll – seine Aufgabe ist es, den Schichtplan für nächsten Monat zu erstellen und zu versenden, aber er ist nicht dazu in der Lage. In der Pause versucht er ein paar Sandwich-Kräcker zu essen, schafft es jedoch nicht, sie zu kauen und hinunterzuschlucken. Da nach schlägt er in einem Lagerraum eine Weile lang auf einen Pappkarton ein, bis er blutige Handknöchel hat. Er bekommt Kopfweh. Es ist ein Gefühl, als würden die Neonleuchten Löcher in seine Augen bohren. Immer wieder stöhnt er scheinbar grundlos auf. Aber als Ronald anruft und ihm irgendeinen Blödsinn erzählt, wie dass sein Kühlschrank kaputt ist und er deswegen nicht zu seiner Schicht kommen kann, beschließt er trotz allem, länger zu bleiben, obwohl er einen Ersatzmann besorgen könnte.
Um drei Uhr morgens verlässt er endlich den Supermarkt. Noch immer läuft jede einzelne elende Sekunde der Trennung von Tracee in einer Endlosschleife durch sein Hirn. Es ist eine herrliche Nacht, massenweise Sterne und ein Vollmond, der höhnisch auf ihn herunterlächelt. Unerträglich für Tim. Er steht neben seinem Wagen und kann sich nicht dazu aufraffen einzusteigen und ins Motel zu fahren, wo sonst immer Tracee auf ihn gewartet hat, ins Bett gekuschelt, die Beine unter der Decke hervorgestreckt, die Arme um beide Kopfkissen gelegt. Wenn sie die Tür aufgehen hörte, schlug sie die Augen auf und lächelte, und Tim sprang aufs Bett, riss sich die Kleider vom Leib, und sie schliefen miteinander. Er kann sich ohne Tracee kein Morgen vorstellen.
Eigentlich will er zum Tulip Tree Motel fahren, aber stat tdessen nimmt er den Weg zum Lion, seine alte nächtliche Zufluchtsstätte. Er parkt, schleppt sich bis zum Eingang und sperrt auf. Das Klirren der sich öffnenden Metalltüren stört Marcel nicht, er scheint zu schlafen.
Tim geht zur Bar und zapft sich ein Bier.
Dann setzt er sich an einen Tisch, der wackelige Stuhl quietscht, als sich die Sitzfläche hin und her bewegt. Der Löwe schläft weiter. Er hat jetzt ein erfülltes Leben. Wer hätte gedacht, dass Mr. M einmal ein besseres Leben führen würde als Tim? Tim missgönnt es ihm keinesfalls. Aber er hätte nie erwartet, dass der Löwe sein Glück findet und er selbst das Gegenteil davon. Man weiß nie, wie die Karten fallen, denkt Tim.
Er streckt die langen Beine vor sich aus, trinkt langsam sein Bier und hofft auf den toten Punkt, das Gefühl völliger Erschöpfung, damit er ins Motel zurückfahren und wegnicken kann, noch ehe sein Kopf das Kissen berührt.
Marcels Nase bewegt sich. Er gähnt. Dann rollt er sich auf den Bauch, hebt eine Pfote, um sich auf ein Ohr zu schla gen, zieht die Beine unter den Körper und kommt schwerfällig zum Stehen.
»Hallo«, sagt Tim.
Marcel gähnt erneut. Diesmal öffnet er das Maul weit genug, dass man einen Kleinwagen darin unterbringen könnte. Seine lange, leuchtend pinkfarbene Zunge hängt zwischen den furchterregenden Eckzähnen hervor.
Tim gähnt und streckt Marcel die Zunge heraus.
Marcel legt den Kopf schräg und stößt etwas aus, was wie ein Bellen klingt.
Tim legt den Kopf schräg und bellt ebenfalls.
Marcel hebt den Kopf und lässt den donnernden Ruf der Wildnis ertönen. Tim tut es ihm gleich. Der laute, formlose Lärm beginnt in seinem Zwerchfell, wird in seinen Lungen kraftvoller und explodiert dann, um Tim mit berauschender Energie zu füllen.
Marcels Beine beugen sich, er sinkt auf die Hinterpfoten, rollt sich auf die Seite, schnaubt ein paarmal und schläft dann wieder ein, aber das bekommt Tim schon nicht mehr mit, weil er aus der Tür rennt.
Mit Höchstgeschwindigkeit rast Tim zum Tulip Tree Motel, fährt auf einen Parkplatz direkt vor Zimmer Nummer 19 und steigt aus. Das gesamte Gebäude ist dunkel, jedes einzelne Fenster. Es ist fast vier Uhr morgens. Das einzige Geräusch ist das unerbittliche metallische Zirpen der Zikaden.
Er geht ein paar Schritte rückwärts, bis er Tracees Fenster im ersten Stock genau vor sich hat, wirft den Kopf in den Nacken und brüllt.
Lana tastet
Weitere Kostenlose Bücher