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Drei Hände Im Brunnen

Drei Hände Im Brunnen

Titel: Drei Hände Im Brunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsey Davis
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die Energie zu verfügen, für uns selbst zu sorgen.
     
    »Ich wollte gerade zum Haus reiten. Können Sie mir sagen, wer hier lebt?«
     
    »Der alte Mann.« Eine zögernde Stimme kam aus dem breitwangigen, nicht übermäßig feindseligen Gesicht. Doch er antwortete zumindest. Da ich mich nicht vorgestellt hatte, war das mehr, als ich in Rom erwartet hätte. Er hatte wahrscheinlich die Anweisung, Fremde abzuwimmeln, die sich als Viehdiebe herausstellen könnten. Ich schob meine Vorurteile beiseite.
     
    »Arbeiten Sie für ihn?«
     
    »Das ist meine Lebensaufgabe.« Solchen Typen war ich schon früher begegnet. Er gab der ganzen Welt die Schuld an seinem Missgeschick. Ein Sklave in seinem Alter konnte erwarten, seine Freiheit auf die eine oder andere Weise zurückzugewinnen. Vielleicht hatte er nicht die Gelegenheit, sich das durch Manipulation zu verdienen oder die richtige Art von Treue zu zeigen. Ihm mangelte es auf jeden Fall an der Gewitztheit und dem Charme weltgewandter Sklaven in Rom.
     
    »Ich würde gern wissen, ob jemand von hier regelmäßig nach Rom zu den Spielen im Circus Maximus fährt.«
     
    »Der alte Mann nicht. Er ist sechsundachtzig!«
     
    Wir lachten ein bisschen. Das erklärte den leichten Hauch der Vernachlässigung, der über dem Besitz hing. »Behandelt er Sie gut?«
     
    »Kann nicht klagen.« Durch das Lachen war der Sklave zugänglicher geworden.
     
    »Wie heißt er?«
     
    »Rosius Gratus.«
     
    »Lebt er allein hier?«
     
    »Ja.«
     
    »Keine Verwandten?«
     
    »Nur in Rom.«
     
    »Kann ich ihn besuchen?« Der Sklave zuckte zustimmend mit den Schultern. Ich glaubte zwar nicht, dass mir der Besuch viel bringen würde, aber ich hatte mich in meinem Urteil schon früher getäuscht; zumindest hatte er sich meiner Bitte nicht widersetzt. »Danke – und wie heißen Sie ?«
     
    Er betrachtete mich mit der leichten Arroganz, die manchen Leuten eigen ist, als ob sie erwarteten, dass jeder weiß, wer sie sind. »Thurius.«
     
    Ich nickte und ritt weiter.
     
    Rosius Gratus saß auf einem Liegestuhl unter einem Portikus und träumte von Ereignissen, die sechzig Jahre zurücklagen. Man konnte erkennen, dass er all seine Tage so verbrachte. Er war in eine Decke gehüllt, aber darunter sah ich eine zusammengesunkene Gestalt mit dürren Schultern, weißem Haar und wässrigen Augen. Man schien sich gut um ihn zu kümmern, und er wirkte für sein Alter ziemlich fit. Aber er war nicht gerade in der Lage, sieben Runden in einem Stadion zu laufen. Und er war gewiss kein Mörder.
     
    Eine Haushälterin hatte mir aufgemacht und mich mit ihm allein gelassen. Ich stellte ihm ein paar einfache Fragen, die er mit großer Höflichkeit beantwortete.
     
    Er wirkte auf mich, als gäbe er sich trotteliger, als er war, aber das tun viele alte Männer zu ihrem privaten Amüsement. Ich freute mich selbst schon darauf, wenn es eines Tages bei mir so weit war.
     
    Im Gespräch erwähnte ich, dass ich aus Tibur gekommen war.
     
    »Haben Sie meine Tochter gesehen?«
     
    »Ich dachte, Ihre Familie wohnt in Rom?«
     
    »Oh …« Der arme alte Kerl sah verwirrt aus. »Ja, das mag schon sein. Ja, ja, ich habe eine Tochter in Rom …«
     
    »Wann haben Sie Ihre Tochter das letzte Mal gesehen?« Man hatte ihn hier offenbar seit so langer Zeit allein gelassen, dass er vergessen hatte, wo sich seine Familie befand.
     
    »Oh … vor nicht allzu langer Zeit«, versicherte er mir, doch irgendwie hörte es sich an, als läge das weit zurück. Er klang allerdings so vage, dass es auch vor zwei Tagen hätte sein können.
     
    Es gelang dem alten Knaben, sich auf boshafte Weise als unzuverlässiger Zeuge darzustellen. Der Blick seiner tief liegenden Augen ließ darauf schließen, dass er das nur allzu gut wusste und es ihm egal war, wenn er mich in die Irre führte.
     
    »Sie fahren nicht mehr oft nach Rom?«
     
    »Wissen Sie, ich bin sechsundachtzig!«
     
    »Das ist wunderbar!«, meinte ich. Er hatte es mir bereits zwei Mal gesagt.
     
    Er schien begierig auf Gesellschaft, obwohl er nicht viel zu einem Gespräch beizusteuern hatte.
     
    Ich schaffte es, mich nicht allzu abrupt zu verkrümeln. Irgendwas an Rosius Gratus deutete darauf hin, dass er durchaus zu krummen Dingen fähig war, aber sobald für mich feststand, dass er nicht der Mörder sein konnte, war für mich hier nichts mehr zu holen.
     
    Ich ritt im Trab zurück zur Straße. Diesmal begegnete mir niemand.
     

LI
    Der Ort, an dem wir übernachten

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