Drei Hände Im Brunnen
noch schwach flackerten.
Ich war auf eine Gruppe von Sklaven gestoßen, geführt von einem jungen Mann in Patrizier-Weiß, den ich sofort erkannte. An seinem angstvollen Verhalten merkte ich, noch bevor ich seinen Namen rief, dass er in Schwierigkeiten steckte.
»Aelianus!«
Helenas am wenigsten geliebter Bruder war nervös vor dem Circustor auf und ab gelaufen. Als er mich sah, ließ sein Stolz ihn innehalten und sich aufrichten.
»Falco!« Das kam mit zu großer Dringlichkeit heraus. Er wusste, dass ich wusste, wie verzweifelt er war. »Marcus Didius – vielleicht kannst du mir helfen.«
»Was ist denn los?« Mich überkam eine böse Ahnung.
»Nichts, hoffe ich«, sagte er, »aber ich scheine Claudia verloren zu haben.«
Die Ahnung bestätigte sich demnach – ein Alptraum hatte begonnen.
LVIII
»Seit wann wird sie vermisst?«
»O ihr Götter! Seit Stunden!«
»Stunden?«
»Seit heute Abend …«
Ich schaute bedeutungsvoll zum Himmel. »Gestern Abend.«
»Das brauchst du mir nicht zu sagen! Es ist entsetzlich – und wir erwarten ihre Großeltern jetzt täglich …« Er riss sich zusammen und schüttelte über sich selbst den Kopf, weil er mit solchen Trivialitäten kam. Ich hatte mir gewünscht, Aelianus leiden zu sehen, aber nicht so. Er war arrogant, grob und hatte Helena mit seiner Kritik an uns sehr verletzt. Jetzt stand er da auf der Straße, eine erhitzte, besorgte, untersetzte Gestalt, und versuchte sich herauszureden. Ich wusste, und ihm musste es auch klar sein, dass sich hier eine Tragödie abgespielt hatte.
»Beruhige dich.« Die Erleichterung, seinen Kummer mit jemandem teilen zu können, machte ihn so gut wie nutzlos. Ich packte ihn an der Schulter, um ihn davon abzuhalten, endgültig durchzudrehen. Der schicke weiße Stoff seiner hübsch genoppten Tunika war schweißdurchtränkt.
»Claudia wollte zu den Spielen gehen und ich nicht. Ich hab sie abgesetzt …«
»Und sie allein gelassen? Sie ist ein junges Mädchen und außerdem fremd in Rom!«
»Justinus ist sonst immer mitgegangen, aber er …« Justinus war ins Ausland abgereist. Dies war nicht der Moment, seinen Bruder nach dem Grund dafür zu fragen.
»Du hast sie also allein gelassen. Wissen deine Eltern davon?«
»Jetzt ja! Als ich herkam, um sie wie vereinbart abzuholen, tauchte Claudia nicht auf. Dann hab ich eine Menge Fehler gemacht.«
»Was für Fehler?«
»Ich habe überall nach ihr gesucht. Zuerst war ich wütend auf sie – ich bin sogar vor Wut fast einen trinken gegangen …« Ich schwieg. »Ich dachte, sie hätte das Warten satt gehabt. Claudia hat keine sehr hohe Meinung von meinem Organisationstalent.« Offenbar war da mehr vorgefallen als nur eine Meinungsverschiedenheit zwischen Liebenden. »Ich dachte, sie hätte vielleicht aufgegeben und sei allein nach Hause gegangen.«
Ich verbiss mir die verärgerte Bemerkung: Allein?
Es war nicht weit. Bis zum Anfang der Straße der Drei Altäre und dann nach rechts in die Via Appia. Die Porta Capena war von der ersten Kreuzung aus zu sehen, hinter der Aqua Appia und der Aqua Claudia. Aelianus konnte das Haus der Camilli in wenigen Minuten erreichen, und selbst Claudia würde nicht viel länger brauchen. Sie kannte den Weg, hatte sich sicher gefühlt.
»Also bist du nach Hause gelaufen?«
»Da war sie nicht.«
»Hast du es deinem Vater gesagt?«
»Ein weiterer Fehler. Ich hab mich zu sehr geschämt. Ich wollte es selbst in Ordnung bringen – hab mir leise sämtliche Sklaven geschnappt, die ich finden konnte, und bin mit ihnen hier noch mal auf die Suche gegangen. Hat natürlich nichts gebracht. Ich begab mich in den Circus, aber alle, die in ihrer Nähe gesessen hatten, waren schon weg. Und die wachhabenden Ädilen haben mich nur ausgelacht. Ich bin wieder nach Hause gegangen und hab es Papa gestanden. Er wollte die Vigiles informieren, während ich weitersuchen sollte.«
»Du kommst zu spät.« Es brachte nichts, ihm die Wahrheit vorzuenthalten. Claudia Rufina war ein vernünftiges, besonnenes Mädchen, viel zu rücksichtsvoll, um ihr Verschwinden nur vorzutäuschen.
»Aulus«, ich benutzte nur selten seinen Vornamen, »die Sache ist sehr ernst.«
»Ich verstehe.« Keine Entschuldigung. Auch keine wilden Selbstbezichtigungen, obwohl deutlich zu erkennen war, dass er sich die Schuld gab. Nun ja, ich wusste, wie einem dabei zu Mute ist.
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