Drei Hände Im Brunnen
diese Leiche rauszufinden – wo der Rest davon ist.«
»Ach, wer weiß?« Mein Kopf schwamm mehr, als es meinem Gewissen recht war. Ich war nicht allzu sehr darauf erpicht, die sechs Stockwerke hinunterzustolpern und dann auf der anderen Straßenseite die paar Stufen wieder hinauf, um nach Hause zu Helena zu gelangen.
»Jemand weiß es. Jemand hat es getan. Er lacht sich ins Fäustchen. Denkt, er ist damit durchgekommen.«
»Ist er ja auch.«
»Du bist ein elender Pessimist, Falco.«
»Ein Realist.«
»Wir werden ihn finden.«
Es war jetzt klar, dass wir uns furchtbar besaufen würden.
»Du kannst ihn finden.« Ich versuchte aufzustehen. »Ich muss los und mich um meine Frau und das Baby kümmern.«
»Ja.« Petro war großmütig, erfüllt von der verzweifelten Selbstaufopferung der frisch Beraubten und schwer Betrunkenen. »Mach dir keine Gedanken um mich. Das Leben muss weitergehen. Schau, dass du zu deiner kleinen Julia und zu Helena kommst, mein Junge. Entzückendes Baby. Entzückende Frau. Du bist ein glücklicher Mann, ein prima Kerl …«
Ich konnte ihn nicht allein lassen. Also nahm ich wieder Platz. Gedanken hatten sich im Kopf meines alten Freundes festgesetzt, wirbelten herum wie aus der Bahn geratene Planeten. »Die Hand hat ihren Weg zu uns gefunden, weil wir diejenigen sind, die das aufklären können.«
»Nein, weil wir idiotischerweise gefragt haben, was es ist, Petro.«
»Aber das ist es ja gerade. Wir haben Fragen gestellt. Genau darum geht es, Marcus Didius – am richtigen Ort zu sein und die entsprechenden Fragen zu stellen. Und Antworten zu wollen. Hier sind noch ein paar Fragen: Wie viele Körperteile schwimmen noch wie die Krabben in der städtischen Wasserversorgung herum?«
Ich machte mit. »Wie viele Leichen?«
»Wie lange sind sie da schon?«
»Wer wird dafür sorgen, auch die restlichen Teile dieser Leiche zu finden?«
»Niemand.«
»Also beginnen wir mit der anderen Seite des Rätsels. Wie sucht man eine vermisste Person in einer Stadt, in der es überhaupt kein Verfahren dafür gibt, verlorene Seelen zu finden?«
»Wo die gesamte Verwaltung strikt in Bereiche eingeteilt ist?«
»Wenn die Person ermordet wurde und wenn das in einem anderen Teil der Stadt geschah als dort, wo die abgetrennte Hand aufgetaucht ist, wer ist dann verantwortlich für die Aufklärung dieses Verbrechens?«
»Einzig wir – wenn wir bekloppt genug sind, den Auftrag anzunehmen.«
»Wer wird sich denn schon die Mühe machen, uns darum zu bitten?«, wollte ich wissen.
»Nur ein Freund oder Verwandter des Verstorbenen.«
»Vielleicht hat er – oder sie – keine Verwandten oder sonst jemanden, den das kümmert.«
»Eine Hure.«
»Oder ein entlaufener Sklave.«
»Ein Gladiator?«
»Nein. Gladiatoren haben Trainer, die ihre Investition schützen. Die Mistkerle kümmern sich selbst darum, wenn einer von ihren Leuten vermisst wird. Vielleicht ein Schauspieler oder eine Schauspielerin.«
»Ein ausländischer Besucher Roms.«
»Es gibt bestimmt eine Menge Leute, die nach vermissten Verwandten suchen«, sagte ich traurig. »Aber wie sollen sie in einer Millionenstadt wie Rom davon hören, dass eine verschrumpelte Hand gefunden worden ist? Und selbst wenn, wie sollen wir jemals so was wie das identifizieren?«
»Wir geben eine Anzeige auf«, entschied Petronius. Er dachte, das sei die Antwort auf alles.
»Liebe Götter, nein. Wir bekämen nur tausende von wertlosen Antworten. Und was würden wir denn da reinschreiben?«
»Andere Teile des Rätsels.«
»Andere Teile der Leiche?«
»Vielleicht lebt der Rest ja noch, Falco.«
»Also suchen wir nach einem Einhändigen?«
»Wenn er noch lebt. Ein Toter antwortet nicht auf eine Anzeige.«
»Ein Mörder ebenfalls nicht. Du bist betrunken.«
»Du auch.«
»Dann werde ich mal lieber über die Straße taumeln.«
Er versuchte mich zu überzeugen, dass ich besser noch bleiben und wieder nüchtern werden sollte. Ich hatte genug Besäufnisse mitgemacht, um zu wissen, wie vergeblich das war.
Es kam mir schon äußerst merkwürdig vor, Petronius Longus als den lasterhaften Junggesellen agieren zu sehen, der die ganze Nacht durchsaufen wollte, während ich der nüchterne Familienvater war, der nach einer Ausrede suchte, um heimschleichen zu können.
VIII
Sechs Stockwerke
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