Drei Hände Im Brunnen
angebracht. Die kann jeder finden, weil sie mit den Cippi markiert sind …«
»Den ›Grabsteinen‹?«
»Genau. Augustus hatte die kluge Idee, die Schächte zu nummerieren. Allerdings nutzen wir sein System nicht, weil es einfacher ist, sich an dem nächstgelegenen Meilenstein auf der Straße zu orientieren. Das tun zumindest die Arbeitstrupps.«
»Ich nehme nicht an, dass Cäsar Augustus in vielen Arbeitstrupps gearbeitet hat.«
Bolanus verzog das Gesicht. »Es würde vielleicht besser funktionieren, wenn ein paar Wochen in einem Arbeitstrupp zur Ämterlaufbahn der Senatsmitglieder gehören würden.«
»Stimmt. Ein Mann, der seine Hände mit ehrlicher Arbeit schmutzig gemacht hat, ist mir allemal lieber.«
»Wie dem auch sei, Wartungsschächte zu finden ist nicht schwer – aber sie sind mit massiven Steinplatten verschlossen, die nur ein Kran heben kann. Wir müssen die Schächte nicht so oft benutzen wie die von der Kloakenreinigung, und wir sind ständig hinterher, dass die Leute nicht ihre eigenen Leitungen anbringen und Wasser klauen. Dass sich Ihr Wahnsinniger da Zugang verschafft, scheint mir demnach nicht sehr wahrscheinlich.«
Das hörte sich vernünftig an. »Na gut. Womit haben wir es hier zu tun? Auf jeden Fall nicht mit spontanen Morden im häuslichen Bereich. Hier handelt es sich um einen Schweinehund, der regelmäßig über einen langen Zeitraum Frauen mit dem Vorhaben überfallen hat, sie sowohl lebend als auch tot zu missbrauchen. Dann muss er die Beweise beseitigen, und zwar so, dass nichts direkt auf ihn hindeutet. Also zerstückelt er die Frauen, nachdem er sie umgebracht hat, um die Leichen leichter loszuwerden.«
»Oder weil er Spaß daran hat.« Bolanus war ein fröhlicher Geselle.
»Wahrscheinlich beides. Männer, die wiederholt morden, können sich im Kopf davon distanzieren. Er muss besessen sein – und er ist berechnend. Aber warum benutzt er die Wasserkanäle, und wie macht er das, wenn sie so schwer zugänglich sind?«
Bolanus holte tief Luft. »Vielleicht sind sie für ihn nicht unzugänglich. Vielleicht arbeitet er in ihnen. Vielleicht ist er einer von uns.«
Das hatte ich mir natürlich auch schon überlegt. Ich sah Bolanus durchdringend an. »Das wäre eine Möglichkeit.« Er schien erleichtert zu sein, es ausgesprochen zu haben. Obwohl er offen mit mir war, kam es einem Verrat an seinen Kollegen gleich. »Es gefällt mir nicht, Bolanus. Da die Staatssklaven alle in Trupps arbeiten, könnte das nur funktionieren, wenn der ganze Trupp davon weiß und eines seiner Mitglieder seit Jahren deckt. Aber bedenken Sie, was für Probleme das aufwerfen würde. Könnte der Mörder wirklich diverse Leichen beseitigen, ohne dass seine Kameraden es mitbekommen? Und wenn es bemerkt worden wäre, dann hätte irgendjemand auf jeden Fall was gesagt.«
Bolanus runzelte die Stirn. »Die Vorstellung ist schrecklich, dass jemand mit einer menschlichen Hand oder einem Fuß in der Tasche in die Rohrleitungen kriecht …«
»Fuß?«
»Es ist mal einer hier aufgetaucht.« Von wie vielen grausigen Funden würden wir wohl noch erfahren? »Und dann müsste er warten, bis er sicher ist, dass keiner seiner Arbeitskollegen hinsieht, wenn er das Ding reinwirft.«
»Wahnsinn. Wer würde so ein Risiko eingehen?«
»Vielleicht ist das Risiko ja Teil des Nervenkitzels«, meinte Bolanus.
Ich fragte mich, ob er nicht zu viel Verständnis für die Empfindungen des Mörders zeigte. Schließlich hatte seine Arbeit mit den Aquädukten zu tun, und er konnte als Ingenieurassistent jederzeit allein Inspektionen durchführen. Zudem würde er als einer der Ersten von möglichen Ermittlungen erfahren und konnte sich zur Verfügung stellen, um mitzubekommen, was da lief.
Unwahrscheinlich. Ja, er war wegen seines speziellen Wissens ein Einzelgänger. Aber er war ein Mann, der dafür sorgte, dass alles reibungslos lief, und keiner, der aus düsteren, unmenschlichen Motiven Frauen überfiel und sie zerstückelte. Bolanus war einer dieser tüchtigen Männer, die das Imperium aufbauten und es in Ordnung hielten. Doch auch der Mörder musste, nachdem er jahrelang unentdeckt Verbrechen begangen hatte, über eine gewisse Tüchtigkeit verfügen. Sollten wir ihn je stellen, würden wir zweifellos Hinweise auf seinen Wahnsinn finden – und trotzdem würde er jemand sein, der innerhalb der Gesellschaft lebte, ohne das Misstrauen seiner Umgebung zu
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