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Drei Irre Unterm Flachdach

Drei Irre Unterm Flachdach

Titel: Drei Irre Unterm Flachdach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastienne Voss
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jederzeit eintreten kon n ten. Selbst Großmutter hielt bei Vollmond die Klappe und sah andächtig in die bizarre Lan d schaft. Wenn Gustav, der Tyrann, Wilma, der Hausdrache, und Püppchens Püppchen schwiegen, wirkten alle drei ganz normal.
    Leider hatte Großvater den Kaminschornstein falsch ko n struiert. Der Abzug funktionierte nicht. Wenn wir den Kamin benut z ten, war das ganze Haus voller Qualm und stank nach Asche. Der Kamin im Eßzimmer war nicht mehr in G e brauch, er qualmte noch stärker als der im Wintergarten. Großvater bestand ja h relang auf Nutzung: »In London ist auch immer Nebel, und da hat Karl Marx gelebt!« tönte er, während wir uns die brennenden Augen rieben. »Aber von Nebel bekommt man keine Rauchvergi f tung!« zeterte Großmutter, die sowieso lieber in den Fernseher sah als in den Kamin. Romantik war überhaupt nicht ihr Ding. Wir saßen weiter hustend vor dem Feuer, bis Wilma sich eines Tages auf dem vernebelten Weg zur Toilette den Kopf an der Standuhr stieß. »Ag a the, die Puppe kotzt! Dein Scheiß- Karl-Marx kann mich mal!« fluchte sie. Nach dem Standuhr-Unfall wurde der Kaminbetrieb im Eßzimmer eing e stellt.
    Unser Bad liebte ich. Es war mit dunkelgrünen Ofenk a chelstücken gefliest, die Großvater auf dem Sperrmüll gefunden hatte. Fast alle Kacheln waren kaputt gewesen, also hatte er die wenigen heil gebliebenen auch noch zertrümmert und die Scherben zu einem einzigartigen Mosaik zusammengefügt. Alle bewunderten unsern Waschraum und sagten, er sehe i r gendwie römisch aus. Die Wanne war in die Erde eingelassen. Man stieg vornehm ins Bad hinab und mußte nicht u m ständlich über den Wannenrand kle t tern. In der Wanne spielte ich U-Boot. Dafür spannte ich ein Bet t laken von Rand zu Rand und beschwerte es an den Ecken mit Badusan und Scha u ma-Shampoo-Flaschen. Dann durchkreuzte ich, ausgestattet mit Othello-Keksen und A p felsaft, stundenlang ungestört die Weltmeere, denn die Toilette war zum Glück sep a rat.
    Großvater legte Wert darauf, daß er und Großmutter sich gleichzeitig wuschen. Er wollte den Wasserverbrauch ko n trollieren. Deshalb hatte er zwei Waschbecken nebeneinander installiert, wie im Restaurant-WC. Wenn Großmutter, die den ga n zen Ta g Unkraut gejätet hatte, ihre großen schwarzen Füße in eines der Becken hievte, schwappte das Wasser über den Rand auf das kunstvolle Ofenkachelmosaik. Gustav meckerte: »Du sollst nicht pla n schen, Wilma!« »Hör uff! Du plemperst jenauso rum!« Wilma klatschte mit der flachen Hand auf das Wasser. Sie prustete vor Lachen, und Gustav, der völlig durchnäßt war, drohte: »Na warte, komm du mir erst mal ins Bett!« Ich durfte mich alleine waschen.
    Der schwere Vorhang aus orangefarbenem Kordsamt war das Beste an unserer Inneneinrichtung. Er trennte Eß- und Wohnzimmer. Wenn Großvater Heiligabend seine Balladen vo r trug, benut z te er ihn als Theatervorhang. Großmutter und ich stellten sechs Stühle im Hal b rund auf und setzten uns auf die mittleren Plätze. »Wir haben die teuersten Karten«, flüsterte sie, »erste Reihe Mitte!« Großvater bereitete sich hinter dem Vorhang auf seinen Auftritt vor. Dreimal hi n tereinander steckte er den Kopf raus und machte »Brrrrrrrr!« »Es klingelt, gleich geht’s los!« raunte Großmutter mir ins Ohr. Dann wurde die Gardine elegant zurückgeschlagen. Großvater, im du n kelbraunen Kordanzug, pa s send zum orangen Store, machte einen Ausfallschritt vom Eßzimmer rüber ins Wohnzi m mer.
    Sein Soloabend begann mit einer Bockwurstpantomime. Zeige- und Mittelfinger der rec h ten Hand stellten die heiße Bockwurst dar, in die er vorsichtig hineinbiß. In der ändern Hand hielt er ein Taschentuch, mit dem er wie wild vor der Nase rumwedelte. Dann rammte er mit einem Ruck seine beiden Finger bis zum Anschlag in den Hals, wobei er laut schmatzte und schluckte. Danach verbeugte er sich dreimal hintereinander. Wir a p plaudierten kräftig. Großmutter erhob sich und rief »Bravo!« Sie sagte, im berühmten Bo l schoi-Theater in Moskau würde man es auch so machen.
    Ich benutzte den Vorhang für meine Inszenierungen. Alle Freunde mußten sich davor aufstellen und zeigen, was sie kon n ten. Ich machte Regie. Wer sich zu blöd anstellte, flog von der Bese t zungsliste.
    Oskar, den Nachbarjungen, quälte ich schon seit Jahren. Als ich drei war und er schon fast fünf, hatte er mir eines Abends e r klärt, die Korntaler Straße führe zum Mond. Allein war ich ins Dunkel

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