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Drei Irre Unterm Flachdach

Drei Irre Unterm Flachdach

Titel: Drei Irre Unterm Flachdach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastienne Voss
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vater hatte Mutter erzählt, wenn der schwarze Mann wüßte, daß es sie gebe, würde er sie für immer wegholen. Auch er hatte Angst, um seine kleine Tochter, wegen dieser geheimen G e schichten, mit denen er a n dauernd zu tun hatte. Und da war dieser verdammte Verfolgungswahn, unter dem er seit Sac h senhausen litt.
    Mutter hatte keine Freunde. Zu den Ballettstunden und zum Klavierunterricht wurde sie gebracht. Nur in die Sch u le ging sie allein. Sie jeden Tag überallhin zu begleiten war schlicht unmöglich. So gelang es ihr doch manchmal, zu entw i schen. Eines Tages balancierte ein kleines Mädchen auf der äußersten Kante des Schweriner Theaterdaches entlang, in schwindele r regender Höhe. Wieder kam die Feuerwehr, und Püppchen wurde gerettet. Ein anderes Mal hockte ein kleines Mädchen auf der Insel im Schweriner Pfaffenteich, zwischen Enten und Schwänen. Püppchen war geschwommen, bis in die Mitte des Sees, und traute sich nicht mehr zurück. Da kam die Polizei und holte das Kind von den Enten weg. Püppchen fuhr gern Fahrrad wie andere Kinder auch. Ei n mal donnerte es nach der Schule einen Schotterberg hinunter und schlug sich das Gesicht auf und die Knie. Abends fand eine Au f führung mit dem Kinderballett statt, in dem Theater, wo man Püppchen schon mal vom Dach geholt hatte. Es war ein ganz gr o ßer Tag, und die Eltern würden kommen. Sie merkten nichts von dem Unfall, bis die Vo r stellung zu Ende war. Püppchen hatte dick Make-up auf die Wunden geschmiert und in der Garderobe die enge Nylonhose über ihre blute n den Knie gezogen, hatte die Zähne zusammeng e bissen und für die beiden Geheimen Informanten der Staatssicherheit, Wilma und Gustav Voss, den siebenten Zwerg getanzt.

 
    Gustav, ach Gustav
     
    Sie trug einen lila Turban, das graue Haar darunter streng zum Knoten gebunden. Im D-Zug nach Schwerin saß sie mir g e genüber, kerzengerade, unbeweglich. Dreieinhalb Stunden lang thronte die feine Dame im schwarzen Kostüm mit dem lila Turm auf dem Kopf wie eine Statue auf dem schäbigen grünen Kunstleder des Zweiteklasseabteils mit den dreckigen Fenste r scheiben.
    »Mit dem lieben Gott scherzt man nicht, mein Kind!« Sie piekste mit ihrem krummen Zeigefi n ger energisch in die Luft, um mir zu demonstrieren, daß Gott der Allmächtige im Himmel wohne und aus großer Höhe auf uns he r absehe. Ich war sieben, hatte »Ach du lieber Gott« gesagt und dabei geschielt. Großmutter mac h te das auch immer. Tante Helene schien mit dem lieben Gott verwandt zu sein und große Stücke auf ihn zu halten. Ich fand sie schrecklich. Ihre a l bern-vornehme Art, die ständigen Zurechtweisu n gen, der blöde Hut und das fromme Getue gingen mir auf die Nerven. Für Kinder war sie absolut u n geeignet. Bei uns zu Hause benahm sich keiner so affig, nicht mal Gustav. Für eine Ewi g keit von dreieinhalb Stunden war ich mit der Turbantante in ein Zweiteklassea b teil verbannt, durfte nicht reden und mußte genauso stillsitzen wie sie. Während der D-Zug dahinzuckelte, nippte die Tante Tee aus einer Thermoskanne, aß unentwegt Stullen und hielt stumme Zwi e sprache mit Gott – die Hölle auf Rädern. Eingebrockt hatte mir das alles Großvater. Er hatte mich und Tante Helene zu irgendwelchen entfernten Verwandten abgeschoben, die ich noch weniger kannte als die Tante. Mir war jetzt schon schlecht. Zum Glück wollte Großmutter zwei Tage später nachkommen. Sie hatte mir gesteckt, daß Tante Helene immer noch Jun g frau war und an Gott glaubte, weil sie die große Liebe ihres Lebens nicht bekommen hatte. Ein anderer Mann war nie in Frage gekommen. »Ve r stehste, da blieb nur noch der liebe Jott!« Tante Helene sang im Kirchenchor. Einmal hatte sie zusammen mit Großvater unser Flachdach neu g e teert und dabei immerzu dieselbe Zeile eines Liedes gesungen: »Schneewit t chen, hinter den Bergen ...« Großmutter meinte: »Also, aus dem Kirchenjesangsbuch kann se dit nich haben.« Tante Helene hatte einen glockenklaren Sopran, der über die G e müsebeete hinweg noch drei Gärten weiter zu hören war. Nachbarn hatten Gro ß vater am nächsten Tag gefragt, woher er die Oper n sängerin kenne, die man unser Dach habe teeren sehen »und h ö ren, Herr Voss!«. Andere Leute hatten Tante Helene im Wintergarten entdeckt, mit Näharbeiten beschäftigt: »Haben Sie ne alte Ballerina zu Besuch?« Die kleine zierliche Person mit dem dicken Haarkn o ten im Nacken sorgte für Au f sehen.
    »Was weißt du noch von Gustav,

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