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Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Titel: Drei Minuten mit der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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Sie spähte in die Dunkelheit. Sie vermeinte, Schritte zu hören. Ein Taxi hielt vor ihr und entließ zwei Männer und eine Frau. Die Straße war wie ausgestorben. Kein Laut. Nur die gedämpfte Musik aus dem Inneren der Wellblechhalle. Dann vernahm sie das scharrende Geräusch eines Anlassers. Es war nicht weit entfernt, aber zu weit, um die Richtung genau angeben zu können. Kam das Geräusch von rechts, von links? Sie ging ein paar Schritte den Gehsteig entlang. Aber sie hatte sich geirrt. Als sie sich vom Motorengeräusch in ihrem Rücken überrascht umdrehte, sah sie nur noch ein Paar roter Rücklichter, die sich rasch entfernten.
    Lindsey fand sie auf dem Gehsteig stehend. Giulietta war wie versteinert. Sie weigerte sich, das Lokal überhaupt noch einmal zu betreten. Sie bestand darauf, draußen zu warten, bis Lindsey ihre Jacken und Handtaschen geholt haben würde, ein Taxi bestellt war und sie von hier fortbrachte. Sie fühlte sich schmutzig. Wie ein Stück Abfall. Sie wollte nur eines: so schnell wie möglich weg aus diesem Land. Zurück in ihr wirkliches Leben.
    Lindsey nahm neben ihr auf dem Rücksitz des Wagens Platz. Giulietta starrte aus dem Fenster und sagte kein Wort. Lindsey ergriff ihre Hand. Sie ließ es geschehen. Sie spürte nichts. Und sie hörte nichts. Lindsey redete auf sie ein. Aber so war diese Frau eben nun mal. Sie redete immer. Giuliettas Kleid klebte an ihrem Körper. Das Taxi ließ kein Schlagloch aus, und einmal stießen sie mit dem Kopf gegen das glücklicherweise gepolsterte Dach des alten Renault. Ein Lastwagen sollte mir auf den Kopf fallen, dachte Giulietta grimmig. Eine verfluchte Idiotin bin ich gewesen, einem Irren hinterherzulaufen. Sie spürte regelrecht, wie sich aus ihrem Kopf ein Schacht in ihr Herz fraß. Sie ließ es zu, denn nur durch einen Schacht würde sie aus diesem Loch heraussteigen. Vielleicht wäre danach nichts mehr so wie vorher. Aber irgendwann würde sie nur noch darüber lachen. Über ihre Naivität. Ihren Starrsinn. Jetzt noch nicht. Jetzt war da ein Riss, an den sie sich gewöhnen musste. Dieses verdammte feige Schwein.
    »… es waren zwei Männer da«, hörte sie Lindsey neben sich sagen.
    Giulietta fuhr herum und sagte nur: »Hör auf. Ich will nichts mehr hören, verstehst du. Nichts.«
    Lindsey ignorierte sie. »Als du so plötzlich aus dem Saal gestürmt bist, sind dir zwei Männer gefolgt. Sie saßen direkt hinter uns. Ich habe keine Ahnung, wer sie sind, aber ich schwöre dir, sie sind dir nachgegangen.«
    »Es ist mir egal, verstehst du? Egal. Es gibt keine Erklärung, die das wieder gutmacht, was dieser Hund mir angetan hat. Ortmann hat es gesagt. Nieves. Du. Alle. Damián ist irre. Schluss jetzt. Kein weiteres Wort. Sonst steige ich aus.«
    Lindsey verstummte, ließ ihre Hand los, presste sich so weit wie möglich von Giulietta entfernt in ihre Ecke und starrte sie feindselig an. Giulietta erwiderte ihren Blick so lange, bis die Kanadierin schließlich wegschaute. Der Taxifahrer fragte irgendetwas, und Lindsey zischte ein paar spanische Sätze, in denen irgendwo Bartolomé Mitre und der Name von Giuliettas Hotel vorkamen. Die nächsten zehn Minuten fuhren sie in eisigem Schweigen durch die nächtlichen Straßen. Giulietta schaute kein einziges Mal zu Lindsey hinüber. Erst als das Taxi vor ihrem Hotel hielt, drehte sie sich wieder zu ihr um. Doch sie sah nur ihren Hinterkopf. Giulietta stieg aus und knallte die Tür zu. Das Taxi fuhr los. Sie ging auf das Portal des Hauses zu und suchte nach dem Schlüssel. Dann sah sie, dass das Taxi wieder anhielt. Lindsey stieg aus und kam auf sie zu. Sie schaute zur Erde, vermied direkten Blickkontakt, bis sie direkt vor ihr stand. Dann blickte sie auf, zog die Augenbrauen hoch und streckte ihr schließlich die Hand entgegen.
    »Sorry«, sagte sie. »Wenn du morgen nach Hause fliegst, will ich dir wenigstens noch mal die Hand geschüttelt haben. Du warst eine Bereicherung. Viel Glück. Okay?«
    Giulietta wurde mit einem Mal der erstaunliche Umstand bewusst, dass sie Lindsey erst gestern kennen gelernt hatte. Gestern? Ihr Zeitgefühl war völlig verschoben. Das Gespräch mit Ortmann schien Wochen her zu sein. Wo lag Berlin? Die Staatsoper?
    »Ich war unfair zu dir, tut mir Leid«, antwortete sie. »Ich hoffe, wir sehen uns einmal wieder, wenn ich normal bin … ich meine, wenn das alles vorüber ist.«
    Lindsey wollte etwas erwidern, verkniff sich jedoch eine Antwort. Stattdessen holte sie ein Stück Papier

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