Drei Unzen Agonie
beispielsweise die Postkarte schicken, wenn
Sie vorher das Zeitliche segnen ?«
Fran hatte doch immer das
letzte Wort. Ich sann mit saurer Miene auf Revanche, während ihre Schritte
draußen im Flur verklangen. Dann hob ich den Telefonhörer ab und wählte die
Nummer Jonathan Lords.
»Hallo ?« meldete sich Cindy Vickers sogleich.
»Hallo«, erwiderte ich. »Hier
ist Danny Boyd. Wie geht es Ihnen ?«
»Bestens. Alles hat sich in
Wohlgefallen aufgelöst. Als ich heute nacht hier ankam
und Jonathan alles erzählte, wollte er Sie gleich anrufen, um Ihnen zu danken;
aber ich erinnerte ihn daran, daß Sie Schlaf dringend nötig hätten .«
»Da bin ich wirklich froh«,
sagte ich ehrlich.
»Jetzt ist er im Büro .« Ihr Ton wurde vertraulich. »Ich habe ihm heute nacht alles erzählt, Danny.
Alles... Sie wissen schon. Ich bin so froh, daß ich es mir von der Seele
geredet habe. Heute morgen sind nämlich die gräßlichen
Fotos per Post hier angekommen. Er war einfach wunderbar .« Ihre Stimme schwankte. »Wissen Sie, was er getan hat? Er hat die Bilder vor
meinen Augen verbrannt, ohne sie aus dem Umschlag zu nehmen .«
»Großartig«, stimmte ich zu.
»Ganz egal, was jetzt
geschieht, ich bin glücklich«, erklärte sie mit träumerischer Stimme. »Von
jetzt an wird nie wieder etwas zwischen Jonathan und mir stehen. Wenn Sie nicht
gewesen wären, hätte ich nie...«
»Schon gut«, unterbrach ich.
»Bleiben Sie jetzt vorläufig schön in seiner Nähe. Und machen Sie die
Wohnungstür nicht auf, wenn es läutet .«
»Bestimmt nicht .« Sie lachte glücklich. »Mein Leben ist mir viel zu
wertvoll geworden. Und das habe ich Ihnen zu verdanken. Ich habe ganz und gar
nicht vor, Risiken einzugehen .«
»Sehr schön«, stellte ich fest.
»Ich werde Sie demnächst mal besuchen .«
»Jonathan wird Sie auf jeden
Fall heute abend anrufen«, sagte sie. »Es wird Ihnen
nichts anderes übrigbleiben, als brav an der Strippe zu hängen und sich seine
Dankeshymnen anzuhören .«
»Ich werde wahrscheinlich erst
spät nach Hause kommen«, meinte ich. »Sagen Sie ihm, er soll sich seine
Dankbarkeit für ein andermal sparen .«
»Werde ich ausrichten .« Sie lachte wieder. »Ich glaube allerdings nicht, daß ihn
das abhalten wird. Wiedersehen, Danny, und vielen Dank für den Anruf.«
Im Büro war es einsam ohne
Fran. Ich fand, ich hätte hier nichts mehr zu suchen, und machte mich auf den
Weg zu der kleinen Bar um die Ecke. Ich habe nie viel von dem Sprichwort
gehalten, daß der Hund des Menschen bester Freund ist. Das hatte allenfalls
während der Prohibition Geltung. Da konnte einem ein Hund mit guter Nase
vielleicht den Weg zur nächsten Alkoholquelle weisen. Nachdem ich mir drei
Drinks zu Gemüte geführt hatte, stellte ich fest, daß es Zeit war, Leo Stahl
den von ihm gewünschten Besuch abzustatten.
Er führte mich umständlich in
sein mit Möbeln vollgepfropftes Wohnzimmer und drückte mich vorsichtig, aber
bestimmt aufs Sofa nieder. Dann stieß er einen Seufzer der Erleichterung aus,
offenbar darüber, daß es mir gelungen war, meinen Weg zwischen den Möbeln
hindurch zu finden, ohne etwas umzuwerfen oder zu zerbrechen, und ließ sich auf
dem Rand des Sessels mir gegenüber nieder. Seine braunen Augen tränten leicht.
»Ich bin froh, daß Sie meine
Nachricht erhalten haben, Mr. Boyd«, begann er mit seiner dünnen Stimme. »Sehr
froh. Ich muß Ihnen nämlich etwas anvertrauen. Gestern abend habe ich Sie belogen, Mr. Boyd .« Er zog an seinen
Fingern, daß die Gelenke knackten. »Ich habe Sie belogen, indem ich Ihnen nicht
die ganze Wahrheit sagte .«
»Worüber?«
»Über meine — äh — zeitweise
Liaison mit Miss Lord. Es war nicht nur das ständige Beisammensein, das uns zueinanderführte , wie ich gestern abend behauptete. Sie legte es mit voller Absicht
darauf an, mir den Kopf zu verdrehen, und machte dann die Fortsetzung unserer
Freundschaft davon abhängig, daß ich tat, was sie von mir verlangte .« Der Gedanke daran trieb ihm erneut Tränen in die Augen.
»Ich bin ein einsamer Mensch, Mr. Boyd. In meiner Jugend war ich dem anderen
Geschlecht gegenüber stets schüchtern und ungewandt. Als ich meine berufliche
Laufbahn antrat, ging ich von Anfang an ganz und gar in meiner Arbeit auf. Im
Labor, wo ich mich von vertrauten Dingen umgeben wußte, fand ich
Selbstsicherheit und vergaß meine körperlichen und seelischen Schwächen. Doch
diese berufliche Selbstsicherheit verhindert nicht, daß ich mir dennoch
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