Drei Unzen Agonie
Erbschaft zu
bringen.«
»Ich kann mir vorstellen, daß
Maxine entzückt war, als Sie ihr das klarmachten«, bemerkte ich.
Er schauderte sichtbar. »Sie
war außer sich. Ich hätte nie geglaubt, daß eine so anziehende Frau sich in derartige
Wut hineinsteigern kann. Und ihre Ausdrucksweise! Da wäre selbst ein Fuhrknecht
errötet .«
»Und dann warf sie Sie hinaus ?«
»Ganz recht. Von da an war ich
für sie Luft. Es war nicht einfach, wieder in die Einsamkeit zurückzufinden,
aber ich bin trotzdem froh, daß ich mich geweigert habe .«
»Und warum haben Sie sich
plötzlich entschlossen, mir das alles zu erzählen ?«
»Mein Gewissen hat mir keine
Ruhe gelassen«, erwiderte er. »Ich weiß, daß Sie für Maxine arbeiten und ihr
wahrscheinlich über dieses Gespräch berichten werden. Es wird wohl das Ende
meiner langjährigen Tätigkeit bei der Firma House of Sorcery bedeuten, und ich kann kaum hoffen, bei
einer anderen Firma unterzukommen. Doch ich werde gewiß in einer anderen
Branche einen Posten als Chemiker finden. Meine Existenz ist also nicht
gefährdet .«
»Sie hat Sie nicht
hinausgeworfen, als Sie sich weigerten, bei dem Komplott gegen Jonathan
mitzumachen«, meinte ich. »Vielleicht wird sie also auch jetzt diesen Schritt
nicht tun .«
Er schüttelte traurig den Kopf.
»Damals konnte sie nicht das Risiko eingehen, daß ich ihm womöglich die ganze
Geschichte erzählte .«
»Und warum soll sie es sich
jetzt leisten können ?«
»Weil es jetzt nicht mehr
darauf ankommt. Ich bin überzeugt, daß sie selbst die Formel an Fremont weitergegeben
hat. Sie wartet nur auf den geeigneten Augenblick, ihren Bruder zu
beschuldigen. Bestimmt werden Sie irgendwo Beweise finden — selbstverständlich
von ihr vorbereitet —, die ihre Version bestätigen .«
»Ich bin Ihnen sehr dankbar,
daß Sie mir das alles erzählt haben, Mr. Stahl .« Ich
stand auf. »Damit wären einige Dinge geklärt, die mir Kopfzerbrechen gemacht
haben .«
»Ich mußte es tun, Mr. Boyd«,
erwiderte er mit Märtyrermiene.
»Da haben Sie recht«, stimmte
ich zu. »Wenn es Maxine gelingt, die Erbschaft zu hintertreiben, kann sie
nichts davon abhalten, Sie unmittelbar darauf an die Luft zu setzen. Wenn Sie
das jedoch verhindern können und Jonathan die Geschäftsführung übernimmt,
werden Sie sich mit der Geschichte bei ihm lieb Kind machen .«
»Mr. Boyd!« Seine Stimme war
zittrig. »Ich versichere Ihnen, daß ich nur die reine Wahrheit erzählt habe .«
»Ich frage mich nur«, überlegte
ich laut, »ob man den Worten eines Mannes glauben kann, der sich so leicht den
Kopf verdrehen läßt .«
Er saß noch immer auf dem Rand
seines Sessels und betupfte sich die tränenden Augen, als ich ging. Er
erinnerte mich an ein Mädchen, das verführt und dann sitzengelassen worden war.
8
Als ich sie das letztemal aufgesucht hatte, war es kurz vor halb
neun gewesen. Ich wartete deshalb zehn Minuten vor dem Apartmenthaus, ehe ich
hineinging. Mir war nämlich die umwerfende Erleuchtung gekommen, daß alle
Menschen Gewohnheitstiere sind. Und Ursula Owen machte da sicher keine
Ausnahme. Vor der Wohnungstür sah ich auf die Uhr. Es war wenige Minuten vor
halb neun. Dann klingelte ich und trat rasch drei Schritte zurück. Mir war, als
dauerte es eine Ewigkeit, ehe sich die Tür einen Spalt öffnete und große
tiefblaue Augen kurzsichtig herausspähten.
»Wer ist da ?« Wie am Abend zuvor klang ihre Stimme tief und ein wenig atemlos.
»Charles«, murmelte ich
möglichst undeutlich.
»Liebster!« Sie strahlte. »Du
hättest anrufen sollen. Ich war noch unter der Dusche .«
Es hatte sich erwiesen: Sie war
ein Gewohnheitstier. Sie trug auch denselben Bademantel wie am Abend zuvor. Als
sie mir die Tür öffnete, wartete ich, bis sie mir den Rücken zuwandte, ehe ich
ihr folgte, und auch dann hielt ich drei Schritte Abstand. Sie trat ins
Wohnzimmer und rammte prompt den Couchtisch. Sie stieß einen unterdrückten
Schmerzensschrei aus, dann beugte sie sich über den Tisch und tastete auf der
Suche nach der Brille über das polierte Holz. Der Bademantel spannte über ihren
Hüften. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen und versetzte ihr einen
leichten Klaps aufs Hinterteil. Sie quietschte entzückt.
»Charles! Du hast mir noch
nicht einmal einen Kuß gegeben .«
Sie richtete sich auf und
drehte sich um, mit der Brille in der Hand. Zärtlich lockend — das hätte ich
Ursula Owen nie zugetraut — lächelte sie mich an. Dann
Weitere Kostenlose Bücher