Drei Worte, die das Glueck bedeuten
redete Deke auf ihn ein. „Ich hole es dann runter.“
Doch sein Vater schüttelte bloß den Kopf. Er verschwendete seinen Atem nicht für Worte, sondern öffnete die Tür, die zur Dachbodentreppe führte, und begann erneut, die Stufen zu erklimmen.
Oben war es kalt und zugig. Dekes Vater atmete schwer, und er zitterte am ganzen Körper.
Der ganze Dachboden war voll mit Kartons, Möbeln, Ständern mit Sommerkleidern und alten Sportgeräten.
Deke entdeckte seine alten Eishockeyschuhe, Millys Kleid vom Schulball, das in einer Schutzhülle steckte, die Strickmaschine seiner Mutter und Türme von Einmachgläsern.
„Was suchst du eigentlich?“ wandte er sich an seinen Vater, als der damit begann, Kartons aus dem Weg zu räumen.
„Es ist hier“, sagte John bloß. „Da hinten. Hilf mir mal.“
Deke schüttelte den Kopf und fragte sich, wie er nachher seiner Mutter erklären sollte, dass sein Vater es darauf abgesehen hatte, am Heiligen Abend auf einem zugigen Dachboden sein Leben auszuhauchen. Dann begann er ebenfalls, Kartons wegzuschaffen. „Was…?“ setzte er noch einmal an.
„Es ist etwas für Zack“, sagte sein Vater. Dann sank er in den Schaukelstuhl seines Großvaters und sah dabei zu, wie sein Sohn die letzten Kartons aus dem Weg räumte.
„Für Zack?“ Suchten sie also nach einem alten Spielzeug?
„Da ist es.“
Es war überhaupt gar kein Spielzeug. Der Gegenstand, auf den John da zeigte, war eine Staffelei für Kinder, vielleicht noch ein wenig zu groß für Zack.
Jedenfalls war es eine echte Staffelei. Und Deke hatte sie ganz sicher noch nie gesehen.
„Der Junge malt gern“, erklärte John. „Er soll sie haben.“
„Wo kommt sie überhaupt her? Ich kenne sie gar nicht.“
Verwundert betrachtete Deke die Staffelei, dann blickte er zu seinem Vater. Er sah in blaue Augen, die Zacks ähnelten, die auch seinen eigenen ähnelten.
„Sie hat mir gehört“, sagte John.
Deke konnte es nicht fassen.
Dann versuchte er, eins und eins zusammenzuzählen – die kleine Staffelei und den pragmatischen, zähen Mann.
John lehnte sich im Schaukelstuhl nach vorn und zog eine große flache Mappe hervor, die gegen einen der Kartons lehnte. Schweigend überreichte er sie seinem Sohn.
Die Mappe war staubig und ein wenig schimmlig. Deke rümpfte die Nase, als er den Verschluss löste und sie öffnete. Darin befanden sich Zeichnungen und Malereien. Deke legte die Mappe ab und holte ein Werk nach dem anderen heraus. Die ältesten Bilder waren noch recht kindisch und ungelenk, aber trotzdem sehr ausdrucksstark.
Sie zeugten von Leidenschaft und Entschlossenheit. Die späteren Werke waren mit kräftigen, kühnen Strichen gemalt oder gezeichnet. Ihnen fehlte noch der handwerkliche Schliff, aber sie waren durchaus viel versprechend, sie zeugten vom Talent des Künstlers.
Erst wollte Deke fragen, wer diese Bilder gemalt hatte, doch dann war das auf einmal nicht mehr notwendig. Und wenn es ihm nicht längst klar gewesen wäre, dann hätten ihm die Initialen des Künstlers einen deutlichen Hinweis gegeben: J. T. M.
John Thomas Malone.
Deke schluckte. Dann betrachtete er seinen Vater, als hätte er diesen Mann noch nie zuvor gesehen. „Warum hast du nicht…?“
Sein Vater hatte so viel Talent gehabt, eine so offenkundige Begabung… und doch hatte er dieses Talent nicht weiterentwickelt.
John zuckte die Schultern. „Ich habe geheiratet, dann bist du gekommen. Da waren andere Dinge wichtiger.“
In seinen Worten schwang kein Groll mit. Ein leises Bedauern vielleicht, aber kein Unmut.
„Verantwortung“, sagte Deke leise.
John nickte, dann trafen sich ihre Blicke. Zum ersten Mal im Leben verstand Deke, wie sein Vater zu dem Mann geworden war, der jetzt vor ihm stand.
Inzwischen war Deke selbst Vater. Und wenn er jemals zwischen der Fotografie und seinem Sohn wählen müsste, dann wüsste er sofort, wofür er sich entscheiden sollte. Und er würde diese Entscheidung auch nie bereuen.
Er lächelte und blinzelte ein paar Tränen zurück. Mit der Staffelei machte John nicht bloß Zack, sondern auch ihm ein großes Geschenk. „Danke, Dad.“
Nun zeigte sich auch auf Johns Gesicht ein leises Lächeln, und er hielt seinem Sohn die Hand hin.
Deke ergriff sie und zog seinen Vater auf die Füße. Sie standen nun bloß wenige Zentimeter voneinander entfernt. Hier oben war es so kalt, dass Deke sehen konnte, wie sich ihr Atem vermischte.
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