Drei Wunder (German Edition)
genau dem gleichen Beige ist, und das ist die gleiche Farbe wie die Wände der Klassenzimmer. Manchmal sehe ich dich ja nicht einmal.«
Und so überzeugte Violet ihre Schwester am Montagnachmittag, als sie von der Schule nach Hause kam und zu ihrem Erstaunen feststelle, dass ihre Mutter zu Hause arbeitete, das Unvorstellbare zu tun und Bridget zu bitten, mit ihr einkaufen zu gehen.
Drei Stunden, sechs Boutiquen und zwei verschiedene Coverversionen des gleichen Rolling-Stones -Songs später, stand Olivia gegen den Spiegel gepresst da, während eifrige, stark gepiercte Verkäuferinnen ihr Kleid um Kleid über den aus der Kabine herausgestreckten Arm hängten. Zuerst war Violet dabei gewesen und hatte jedes einzelne Teil begutachtet. Doch selbst sie war irgendwann aus der beengten Kabine geflohen und sah sich stattdessen eine Auswahl übergroßer Sonnenbrillen in der Nähe des Schaufensters an.
»Olivia?«, rief ihre Mutter, die in einem roten Samtsessel im Wartebereich vor den Kabinen saß und ihre E-Mails checkte.
»Sie sieht toll aus«, sagte eine Verkäuferin zu der anderen. »Erinnert mich irgendwie an die junge Sophia Loren, was meinst du?«
»Auf jeden Fall«, stimmte die andere begeistert zu.
Olivia verdrehte die Augen und nahm sich ein Set mit Weste und Gürtel vom Bügel und hielt es vor sich hin.
»Eine Weste?«, schimpfte Olivia vor sich hin, schlüpfte aber trotzdem hinein. »Wer bin ich denn, Charlie Chaplin?«
»Was ist?«, rief ihre Mutter.
»Nichts.« Olivia wählte einen Rock aus den vielen, von denen alle ein ganzes Stück kürzer waren als das, was sie als angemessen empfand. Sie kämpfte damit, ein paar dicke Kniestrümpfe anzuziehen, verlor prompt das Gleichgewicht, als sie auf einem Fuß balancierte, und knallte rückwärts gegen die Tür.
»Alles in Ordnung?«, rief ihre Mutter.
Olivia gab eine Art Knurren von sich, während sie den Rock hochzog.
»Komm heraus und zeig es mir.«
Olivia sah sich im Spiegel an. Ihr rotes Haar kräuselte sich, und ihre Wangen waren gerötet. Alles, was sie wollte, war ihren bequemen Lieblingspulli anzuziehen, selbst wenn er die Farbe eines schmutzigen Heftpflasters hatte. Es war ihr auch egal, ob Westen gerade modern waren – sie kam sich total lächerlich vor.
»Komm schon«, hörte sie Violet rufen. »Du bist jetzt schon mindestens zwanzig Minuten da drin. Es muss doch irgendetwas geben, was dir gefällt.«
Olivia seufzte und stieß die Tür auf, zupfte ein letztes Mal an ihren Ärmeln und trat aus der Kabine. Sie war so sehr auf Violets Reaktion gespannt gewesen, dass sie Bridgets Ausruf und das Flattern ihrer Fingerspitzen, als sie die Hand vor den Mund schlug, fast nicht bemerkt hätte. Sie sah zu ihrer Mutter und bemerkte, dass in ihren Augen Tränen standen, die zarten Fältchen in den Augenwinkeln sich vertieften.
»Mom?«, sagte Olivia leise. »Was ist denn …«
Bridget schüttelte schweigend den Kopf, als Violet hinter sie trat und die Hände leicht auf die Rücklehne des Stuhls legte.
»Du siehst … Tut mir leid, es ist nur, du siehst …«
Genau wie sie aus , dachte Olivia und beendete den Satz ihrer Mutter in Gedanken. Ich sehe genau wie Violet aus.
»Sie hat recht«, sagte Violet leise.
Olivia kaute auf der Innenseite ihrer Wange und verlagerte ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen. »Es tut mir leid, Mom.«
Sie konnte gar nicht sagen, was ihr alles leid tat. Es tat ihr leid, dass sie ihre Mutter aufgeregt hatte. Es tat ihr leid, dass ihre eigene bloße Existenz eine schmerzhafte Erinnerung an die Tochter war, die sie verloren hatte. Es tat ihr leid, dass sie nicht genügte.
»Nein«, sagte ihre Mutter zwischen Räuspern und Husten. » Mir tut es leid. Ich habe gerade gemerkt … wie spät ist es denn? Ich habe ganz vergessen, dass ich weg muss … ich muss sofort zurück in die Kanzlei …«
Olivia beobachtete mit leisem Entsetzen, wie Bridget ihre Tasche und ihren Trenchcoat nahm, ihre Brieftasche öffnete und ihre Kreditkarte herausholte. »Hier«, sagte sie und steckte Olivia die Karte samt Autoschlüssel zu. »Ich werde zu Fuß gehen. Kauf dir alles, was du willst, in Ordnung?« Ohne auf eine Antwort zu warten, eilte ihre Mutter aus dem Laden.
Olivia kehrte in die winzige, viel zu enge Kabine zurück. Ihr Gesicht brannte, und ihr wurde abwechselnd heiß und eiskalt. Sie stellte sich vor, wie ihre Mutter im Eiltempo zurück zur Kanzlei marschierte und sich in Arbeit vergrub.
Und am meisten arbeitete sie daran,
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