Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
Publikum aus Berlin ... Wir gucken uns an, und ich weiß nicht, was ich sagen soll.
»Wir stehen beide dumm herum und versperren den anderen die Sicht auf die Tür!«, sagt er lachend. »Haben Sie einen Moment Zeit? Also, was für eine Überraschung! Ich freue mich so! Kommen Sie auf einen Sprung mit in die Theaterkantine?«
»Ja, aber wer sind Sie?«
»Entschuldigung.« Er streckt mir die Hand hin. »Ich bin Daniel, ich meine, Danny Goldstein. Einer von Reinhardts Bühnenbildassistenten. Sie ahnen gar nicht, wie oft ich in Laskarows Künstler-Theater war! Kommen Sie doch!«
Er führt mich ins Innere.
Die Kantine ist verräuchert und ein bisschen schmuddelig. Und brechend voll. Ein Schwall von Wärme und ein wildes Stimmengewirr schlagen Leonie entgegen, als ihr Begleiter die Tür öffnet. Sie blickt sich um. An runden hohen Tischen stehen sie Ellenbogen an Ellenbogen bei einem Kaffee oder einem Wein, Bühnenarbeiter in ihren blauen Overalls neben Schauspielern, denen das Haar noch angeklatscht am Kopf liegt von der Perücke, die sie getragen haben, Garderobieren, kenntlich an der Reihe von Sicherheitsnadeln am Kragen. Im Hintergrund an einem langen Holztisch sitzen sie ebenfalls dicht an dicht. Neben den Spielern der Bühnenmusik und ein paar anderen Helfern in weißen oderdunklen Kitteln entdeckt Leonie – ihr Herz schlägt heftiger! – die hochgewachsene Darstellerin der Beatrice, dieser Hosenrolle, die sie sich selbst gern »anziehen« würde, bei einer Flasche Wein im Gespräch mit dem jungen Darsteller des Liebhabers Florindo. Den Schauspieler, der den Truffaldino gegeben hat, erkennt sie neben seiner Kostümierung an einer bestimmten Geste, die er macht, und an der Art, wie er den Kopf zurückwirft. Die dunkle Maske, unter der er einen akrobatisch beweglichen, lebensprühenden jungen Kerl gespielt hat, verbarg einen Mann von über fünfzig Jahren ... Eine Glanzleistung.
Danny Goldstein hat Leonie an der Schulter gepackt. Er grüßt nach rechts und links und lenkt sie durch das Gedränge zu einem kleinen Ecktisch, der mit einem »Reserviert«-Schild versehen ist, nötigt sie, Platz zu nehmen, und macht dem grauköpfigen, stiernacki gen Wirt am Tresen durch ein Handzeichen verständlich, was er will.
Da sitzt sie nun an diesem Tisch mitten unter den Leuten, die sie da eben so bewundert hat! Aber sie fühlt sich sofort wie zu Hause, auch wenn sie immer noch nicht weiß, wie sie das alles einordnen soll. Aber dies ist ihre Welt! Theater, Theater, vor und hinter der Bühne und überhaupt. Ihr wird mit einem Mal klar, wie sehr sie das vermisst hat.
Der Wirt, das Tablett in ausgestreckter Hand hoch über den Köpfen balancierend, nähert sich ihrem Tisch und bringt zwei Wassergläser mit gelbgrün leuchtendem Wein. Für die Replik ihres Begleiters: »Sepp, ich zahl später«, hat er nur ein Kopfnicken übrig.
Goldstein nimmt seine dicke Brille ab, legt sie auf seinen Aktendeckel voller Zeichnungen und reibt sich die Lider. Dann nähert er sein Gesicht dem Leonies auf zwei Handbreit (sie fürchtet schon, er will sie küssen) und lächelt. »Verzeihung, aber ohne die Gläser kann ich Sie sonst nicht erkennen. Ich wollte doch einmal Leonie Lamedé ohne Hilfsmittel in die Augen sehen.«
Er tastet nach dem Wein, stößt ihn fast um, flucht unterdrückt und setzt sich seine Brille wieder auf. »Ohne dies Ding bin ichblind wie ein Maulwurf.« Er hebt das Glas. »Auf Sie, Fräulein Lamedé, und auf diese unerwartete Begegnung.« Leonie nimmt einen Schluck. Ein leichter, fröhlicher, spritziger Wein. Passt zu dem Abend.
Der junge Mann lässt keine Gesprächspause aufkommen. »Ich war mindestens fünfmal im >Bar Kochba‹, schon bei der Premiere damals. Es war ja eine kleine Sensation in Theaterkreisen, als auf einmal ein jiddisches Volkstheater so nach vorn preschte, mit so ernsthaftem Anliegen und so bemerkenswerten Schauspielern. Ich hab auch in der Vorstellung gesessen, als Ihnen der Mob die Bühne demoliert hat. Nie werde ich Schlomo Laskarow an diesem Abend vergessen. Ein grandioser Schauspieler und ein Löwe an Mut! Ich habe ihn sehr bewundert. Furchtbar, was geschehen ist.«
Furchtbar, ja. Sie kann nur nicken, bringt kein Wort heraus. (Fernhalten, das jetzt! Nicht an sich herankommen lassen!) Zum Glück redet Danny Goldstein gleich weiter. »Was hat Sie denn nach Wien verschlagen, gnädiges Fräulein? Sie sagten was von Unterricht oder habe ich mich da verhört. An der Akademie?«
»Nein, privat«, sagt
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