Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
den sanften Strom von Energie, der durch sie hindurchzugehen schien, als sie damals, gemeinsam mit Schlomo, das Taw gefunden hatte. Und dann, als sie es Isabelle gab, da war sie so tief verletzt, dass sie gar nichts mehr fühlen konnte ...)
Felice erhebt sich zögernd. »Wenn dir so viel daran liegt?«
Sie lässt die Augen nicht von Leonie, während sie eine andere Schublade des kleinen Schreibtischs aufzieht. Sagt beiläufig: »Meine Schmuckstücke sind nicht weggeschlossen, sie liegen einfach hier in der Lade. Nur dass ich, seitdem du hier herumgeschnüffelt hast, die Tür zu den inneren Zimmern absperre.«
In ihrer Hand baumelt an der gedrehten Seidenkordel, mit der sie es um ihren Hals trägt, das zweite Zeichen, der Buchstabe Mem. –
Ich bin aufgesprungen, zitternd vor Aufregung. Mit beiden Händen empfange ich das goldene Ding, schließe es ein zwischen meinen Handflächen, mache ihm ein Bett, schließe die Augen, konzentriere mich. Hoffe auf das Strömen, das sanfte Ziehen, die Wärme, die von ihm ausgeht und mich verbindet – mit Isabelle und darüber hinaus mit der ganzen Kette von Vorfahren und Ahnen, ohne die ich nicht auf der Welt wäre.
Aber es kommt anders.
Wieder, wie gestern Abend, geht es aus von der Narbe an meinem Hinterkopf, dieses eisige Stechen, das mir durch die Wirbelsäule bis zu den Hüften fährt wie eine Schlange. Es ist Angst. Einfach Angst.
Und dann ist es da. Hat mich erreicht. Wie damals, als ich Isabelle das erste Mal unter dem qualvollen Druck ihrer Schreckens visionen erlebte und sie mich mit hineinzog in den Strudel, krümme ich mich nach vorn, reiße die Augen weit auf, schreie, schreie wie sie damals. »Nein, nein! Nehmt es weg! Nicht zu mir!«
Schatten, Feuer, Gestalten. Schreiende Menschen. Das, was ich im vorigen Jahr im Scheunenviertel erlebte.
Und das andere, das Unsagbare, das Kommende, das allen Judendroht, Isabelles furchtbare Gesichte; beides durcheinander, große, klobige Brocken von Wirklichkeit und Noch-nicht-Wirklichkeit, von Gestern und Morgen vermischt.
»Ich will nicht!«, keuche ich. »Ich will nicht! Lasst mich in Ruhe! Aufhören!«
Ich fühle, dass ich in die Knie gesunken bin. Der Strudel entsetzlicher Bilder zieht über mich weg wie die wilde Jagd über einen hilflosen Wanderer.
Dann endlich verblassen die Schemen, ist es vorüber. Ich finde mich auf dem Fußboden wieder, das Gesicht tränenüberströmt. Das Mem ist mir aus der Hand gerutscht und liegt vor mir auf der Erde, und Felice, zurückgewichen bis in den hintersten Winkel des begrenzten Raums, betrachtet mich mit gerunzelten Brauen, bevor sie kommt und ihr »Schmuckstück« an sich nimmt und in der Schublade verstaut.
»Wenn du eben geschauspielert hast, dann warst du sehr überzeugend«, sagt sie. Es soll ironisch klingen, hört sich aber eher unsicher an.
Ich stehe langsam auf und fahre mir mit beiden Händen über die Wangen, um die Nässe wegzuwischen. Mein Mund ist wie ausgedörrt. »Hast du bitte einen Schluck Wasser?«, frage ich heiser.
Sie zögert einen Moment, dann geht sie zu der Tapetentür. Ich höre das Geräusch eines geöffneten Wasserhahns; offenbar liegt da ein Badezimmer.
Ich setze mich wieder auf den Hocker, versuche, zu mir zu kommen. Felice erscheint mit einem Glas, das eindeutig ein Zahnputzglas ist, hält es mir hin. Ich gebe mir Mühe, es richtig und ruhig zu fassen und beim Trinken nicht mit den Zähnen am Glasrand zu klappern.
Meine Verwandte nimmt mir das leere Glas ab und trägt es zurück. Erst dann setzt sie sich wieder mir gegenüber an ihren Platz und sagt, ohne mich anzusehen: »Was zum Teufel war das?«
»Ich habe die Vorausschau, wie Isabelle«, sage ich, so gelassen ich nur kann. »Das kannst du glauben oder auch nicht. Es tut mir leid. Wenn es über einen kommt, kann man nicht dagegen an.«
Felice schüttelt den Kopf. »Und das alles hat dieser Buchstabe bei dir ausgelöst? Ich fange langsam an, Respekt vor dem Ding zu bekommen.«
»Es gehört nicht an deinen Hals!«, sage ich.
Sie geht nicht darauf ein, mustert mich mit schief gelegtem Kopf. »Soll ich nach einem der Mädchen läuten, dass es dich zu Bett bringt? Oder soll dir die Frau Pfleiderer noch einen beruhigenden Tee kochen?«
Ich stehe auf. »Ich wünsche dir eine gute Nacht.«
»Gute Nacht«, erwidert sie lakonisch. Weiter nichts.
Als ich – mit wackligen Knien – durch die stillen Prunkräume zurückgehe, habe ich das Gefühl, dass Felice Lascaris Bastion zumindest einen
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