Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
kleinen Mauerriss bekommen hat. Aber was bedeutet schon ein Mauerriss. Und welchen Preis zahle ich dafür...
27
Am nächsten Morgen erwacht sie mit Kopfschmerzen. Sie bekommt ihre Augen kaum auf und ihre Glieder sind schwer wie Blei.
So etwas kennt sie überhaupt nicht. Sie ist nie krank. Als sie das letzte Mal mit Fieber, Halsschmerzen und rotem Ausschlag im Bett lag, erinnert sie sich, da war sie gerade in die Schule gekommen. Die Krankheit hieß Scharlach.
Sie hat Durst, steht auf und schleppt sich zum Wasserhahn in ihrem kleinen Bad. Als sie wieder im Bett liegt, dreht sich alles um sie.
So kann das nicht weitergehen. Es hilft alles nichts, sie muss sich bemerkbar machen. Sonst verkommt sie hier mit nichts als einem Schluck Wasser.
Als sie im Flur steht, bedauert sie, dass sie die Flurgarderobe wieder vor den Küchendurchgang geschoben hat. Sonst könnte sie diese Abkürzung benutzen. Aber sie fühlt sich viel zu schwach, um das Möbelstück jetzt zu bewegen.
In Ermanglung von so etwas wie einem Morgenrock wirft sie ihren Regenmantel übers Nachthemd und geht – nun auch sie einmal barfuß! – über den ihre Sohlen marternden Kies hinüber zum Haupthaus. Diesmal muss sie schellen und setzt sich auf die Treppenstufen, weil sie nicht weiterkommt. Jemand muss ihr helfen.
Man mag von Frau Pfleiderer halten, was man will, aber sie ist gut darin, eine Situation richtig einzuschätzen. Ein Blick auf Leonie, und sie befiehlt mit gebieterischer Stimme Joseph zu sich, der gnä’ Fräulein wieder rübertragen muss ins Bett. Sodann wird Nannerl nach einem Arzt geschickt, während Lieserl mit einemFieberthermometer und einer Kanne Fliedertee ans Krankenbett beordert wird.
Der Mediziner (Felices Leibarzt?), ein junger Kerl mit blonder Haartolle und rötlichem Backenbart, ist so schnell zur Stelle, als hätte er nur auf den Ruf gewartet. Er nimmt zur Kenntnis, dass die Patientin »zwar kein bedrohliches, aber doch hohes Fieber« hat, und macht, was sie halt so tun, die Herren Mediziner: Puls fühlen, in den Hals gucken, abhören, die Drüsen hinterm Ohr abtasten. Leonie lässt alles mit sich geschehen und erfährt dann, dass es »sicher nur a Verkühlung« ist; er lässt ein Pulver gegen die Kopfschmerzen da und empfiehlt außerdem Wadenwickel »gegen die Hitz’«.
Die Wadenwickel stören sie, also macht sie sie ab. Sie schluckt das Schmerzpulver mit dem Fliedertee (wozu auch immer Letzterer gut sein mag) und schläft ein. –
Ich träume.
Da singt jemand ein Lied, verschwimmende Klangfetzen. Verstummt wieder. Irgendetwas zieht mich hinein in eine dunkle Gasse. Da ist eine hölzerne Tür mit hebräischen Buchstaben. Der Singsang von Betenden, an- und abschwellend. Die Luft ist wie mit Tönen gepolstert. Alles ringsumher wird zu Nebel. Die Häuser sind wie in Bewegung, neigen sich gefährlich zueinander. Und plötzlich eine Männerstimme: »Der Golem wird Anteil am ewigen Leben haben, da er unser Volk errettet hat aus so schwerer Bedrängnis. Er wird die Luft vom Garten Eden atmen jede Stunde, er wird stark sein und behutsam ... «
Ich fahre auf. Die Sonne wirft einen schrägen Lichtstrahl in den Raum, schwebende Staubteilchen tanzen darin, eine Milchstraße von Staub.
Was war da für ein Traum?
Ich erinnere mich. Die Negerlegasse, so hieß die Straße, wo ich das erlebt habe. Das war mehr als ein Traum. Aber das eben war hier, direkt bei mir. Man ruft mich wieder. Ich muss wohl noch einmal dorthin.
Aber zunächst fühle ich mich noch entsetzlich matt. Versinke erneut in Schlaftiefen.
Als ich wieder wach werde, ist es fast dunkel. Ich setze mich auf. Mein Kopf ist klar. Mir fehlt gar nichts.
Ich hab mich bloß versteckt hinter dieser »Krankheit«. Ich habe ganz einfach Angst. Angst davor, dass die Gesichte wiederkommen werden, jetzt, nachdem es erneut passiert ist. Dass da endgültig ein Tor aufgestoßen wurde, was bisher zu meinem Heil verschlossen war. Meine Krankheit – das ist die Krankheit Isabelles.
Die Negerlegasse. Ich ziehe mich an und verlasse das Haus, allein.
Auf der anderen Straßenseite steht ein dicklicher Mann in einer Joppe mit Trachtenaufschlägen, wie die Leute sie hier gern tragen. Ich achte nicht weiter auf ihn.
Ein bisschen wacklig auf den Beinen bin ich schon. Steige also in den ersten Fiaker, der mir entgegenkommt, und lasse mich zur Schwedenbrücke fahren. Zur Mazzesinsel.
Der Bettler mit der zerbrochenen Geige hockt da auf der Brücke, als würde er nie fortgehen, gleich ob
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