Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
am Ende, wie es in dem Traum fast geschah ...
Eine Hand legt sich auf meine Schulter und ich fahre herum – bin etwas schreckhaft nach dem, was ich vorgestern erlebt habe.
Gescheiteltes Haar, am Hinterkopf aufgesteckt, dunkle Augen, ein rundes Gesicht. Es ist die Hanna! Fast wäre ich ihr um den Hals gefallen vor Erleichterung.
»Schalom!«, grüße ich. »Wie schön, dass ich Sie treffe!«
»Die Verwandte von der Felice«, stellt sie fest, ohne große Verwunderung. »Was machst denn hier, Schätzchen?«
»Ich wollte – eigentlich wollte ich Sie besuchen, aber Sie waren nicht im Kiosk«, sage ich, obwohl es nicht stimmt. Deswegen bin ich ja nicht aufgebrochen.
Sie schweigt, sieht mich an. Spürt wohl, dass da noch mehr ist. Ich gerate ins Stammeln. »Hier in dieser Gasse – da ist so eine Tür, hinter der wird gesungen, manchmal.«
Sie nickt. »Eine Schul«, sagt sie. »Ein Raum, wo fromme Juden zusammenkommen, um zu beten und zu lernen. Da kannst du nicht rein. Das ist nur für die Mannsbilder.« Sie lächelt mich an.
»Es hat mich aber etwas bewegt, was ich von da drinnen gehört habe«, antworte ich und merke, wie vage das klingt. »Als ich das letzte Mal hier war, hat jemand etwas rezitiert.«
»Auf Jiddisch?« Sie runzelt die Brauen. »Wos hast gehört?« »Es war Deutsch. Es war – vom Golem.«
»Was geht dich der Golem an?« Es klingt streng.
Nein, ich habe keine Lust, ihr meine Geschichte, die Geschichte meiner Familie zu erzählen, so vertrauenswürdig sie mir auch vorkommt. »Ich wollte nur gern etwas wissen«, sage ich.
Sie schüttelt den Kopf. »Steck deine Nase da nicht rein! Weißt du nicht, dass es Unglück bringt?«
»Was für ein Unglück denn?«, frage ich und fühle, wie meine Narbe zu schmerzen beginnt. Hanna hat mir die Hand um die Schultern gelegt und geht so mit mir langsam die Taborstraße entlang, in Richtung auf den Kiosk und die Brücke zu. Redet in leisem Singsang auf mich ein. Es hört sich an, als würde jemand eine alte Prophezeiung herunterbeten. Und während sie spricht, habe ich das Gefühl, dass die freundliche warme Hand auf meiner Schulter auf einmal so schwer wird wie eine bleierne Klammer.
Das aber sagt sie: »Auf der Stirn des Golem stehen drei Zeichen, die ihn zum Leben erwecken können. Und wer immer diese Zeichen zusammenführen will, der muss dafür zahlen. Für jedes Zeichen mit einem Leben. Für jedes Zeichen stirbt jemand.«
»Nein!« Ich reiße mich los von ihr, starre sie mit offenem Mund an. »Wer sagt so etwas?« Mir ist plötzlich eiskalt.
»So heißt es«, entgegnet sie ruhig. Ihr Gesicht ist freundlich, ihr Blick offen. Nichts, was mich beunruhigen müsste. »Aber ist ja nur a alte Geschicht’. Kümmer dich nicht um so Geschichten. Du bist doch a jungs Ding, hast anderes vor, als dich mit so Zeug zu beschäftigen.« Sie lächelt, tätschelt mir die Wange. »Was schaust denn auf einmal, als wär dir a G’spenst übern Weg gelaufen?«
»Es ist nichts«, stammele ich. »Alles ist in Ordnung.« Ich möchte mich am liebsten an irgendetwas festklammern.
Sie mustert mich besorgt.
Wir sind am Kiosk. »Willst auf einen Kaffee hereinkommen? Hast ja auf einmal gar keine Farb mehr im Gesicht.«
»Nein danke«, sage ich, und meine Stimme klingt wie von weit her.
Sie zögert, aber da ich keine Anstalten mache, sagt sie: »Alsdann servus, Kleine, Ich hab noch zu arbeiten. Komm mal wieder vorbei.«
Sie geht hinein, und ich stehe da, einmal wieder vor dieser verhängnisvollen Tabak-Trafik, so wie ich vorgestern hier stand, und es geht mir wieder nicht gut. Nein, ganz und gar nicht.
Ich kann das nicht glauben. Nein. Es ist einfach nicht wahr. Nur so eine alte Geschichte, sagt Hanna.
Und doch.
Für jedes Zeichen ein Leben? Schlomos Leben für das erste – und wer hat für das zweite zu zahlen?
Isabelle, weißt du das? Nimmst du das in Kauf?
Und ich? Trage ich den Tod mit mir herum?
Ich habe einen Geschmack im Mund, als hätte ich ein Stück Eisen auf der Zunge gehabt.
Nein. Das kann nicht sein. Es sind alles nur Märchen. Nichts davon steht in dem Buch »Der Born Judas«, wo die Golem- Geschichte erzählt wird. Keine schriftliche Überlieferung. Ist es nicht so, dass bei den Juden alles aufgezeichnet wird, dass es ein »Volk des Buchs« ist?
Ich will das vergessen. Ich muss das vergessen, wenn ich weitermachen soll. Und ich muss weitermachen.
Ich sehe mich, wie ich in Hermeneau bin und Isabelle das Mem übergebe. Von der jungen Hand in die alte
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