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Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2

Titel: Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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bezogen hat; dort steht auch ein silbernes Tablett, das, wie sie bemerkt, für die Visitenkarten bestimmt ist, und sie sieht, wie Frau Pfleiderer ein halbes Dutzend Lohnkellner und »Serviermadeln« einer strengen Kontrolle unterzieht, sich die Fingernägel zeigen lässt und nachguckt, ob die Manschetten und Hemdbrüste, die Kragen und Häubchen auch keinen Fleck aufweisen.
    Dann geht die Klingel, und die ersten Gäste treffen ein. Leonie beobachtet, wie sie ihre Visitenkarten aufs Silber tun, ihre Mäntel ablegen, sich ein Glas von den angebotenen Tabletts nehmen,plaudernd miteinander herumstehen. Noch immer ist die Gastgeberin nicht erschienen. Übrigens, es sind nur Männer bis jetzt. Männer in Fräcken wie die Kellner. Bloß die »Fliegen« am Hals sind nicht weiß wie die des Personals.
    Bevor sie sich die einzelnen jungen oder alten, feisten oder hohlwangigen, klugen, dummen oder überheblichen Gesichter genauer ansehen kann, scheppert es hier in der Küche. Eine Platte landet auf dem Boden und all die Häppchen nebst Oliven und Ananas verteilen sich auf dem Estrich. Wie sich zeigt, durchaus kein Versehen. Der »geliehene« Koch selbst war am Werk.
    Er schlägt die Tür mit dem Fuß zu, damit die Gäste nichts mitbekommen, und lehnt sich mit verschränkten Armen dagegen – auch an Jähzorn scheint er Leonies Vater nicht nachzustehen. Er ist rot angelaufen und beginnt zu schwadronieren.
    »Welcher Depp hat Schweinsbraten in diese Lieferung reingenommen? Ja, seid’s denn ganz und gar von allen guten Geistern verlassen? Das ist Sabotage! Soll das vielleicht der letzte Auftrag für uns in diesem Haus sein? Das ist ein Judenhaus, ihr Batzis, das wisst ihr doch! Also weg mit dem Zeug! Fresst’s selber, wenn ihr’s vom Boden aufgeklaubt habt, oder gebt’s den Hunden! Die da drin werden’s eh net merken, wann’s eine Assiette mehr oder weniger gibt.«
    Während dieser Tirade und auch im Folgenden, während die Mitarbeiter auf dem Boden herumkriechen und mit bedrückten Mienen aufheben, was da durch den Raum verstreut ist, steht Leonie zwischen Kühlschrank und Herd so still wie eine Statue.
    Und als die Küchentür wieder aufgeht und die nächsten Platten ins Speisezimmer gebracht werden, schlüpft sie schnell mit hinaus und in den Empfangssalon.
    Inzwischen sind mehr als ein Dutzend Gäste da. Zwei Damen nun doch darunter, die eine wie ein Mann gekleidet, Hosenanzug, Monokel am schwarzen Band, die zweite in einer Robe mit einem glitzernden Federkragen und einer hochgetürmten Frisur in Blond. Noch immer führt Frau Pfleiderer das Regiment, achtetdarauf, dass alle ein volles Glas in der Hand haben und niemand für sich allein herumsteht.
    Leonie sieht sich um. Was sind das für Leute, die eine Felice Lascari auf ihren Soireen besuchen? Ihre Blicke huschen von einem zum anderen, sie versucht, sich vorzustellen, ob dieser oder jener vielleicht ein berühmter Autor oder Komponist, ein Theatermann oder Maler sein könnte, und sie tippt: Wer könnte von denen Jude sein, wie der Koch meint? Keine Ahnung. Äußere Merkmale: keine.
    Die Herrschaften haben für sie kaum einen Blick. Und sie scheinen auch die Gastgeberin nicht zu vermissen bisher. Sie sind beschäftigt. Ein Zeitungsblatt geht von Hand zu Hand und sorgt für so eine gewisse stille Heiterkeit, die mit Schadenfreude zu tun hat. Sie tritt etwas näher heran, will wissen, um was es da geht. Jemand lacht laut auf und schlägt mit dem Handrücken auf das Papier, dass es klatscht. »Die Kolumne vom ›Tagblatt‹ ist eben immer wieder fulminant. Dieser Journalist, dieser Hausler – Hut ab! Traut sich doch, an den heiligen Grundfesten unseres Wien, am Burgtheater, zu rütteln.« Er liest vor: »Vielfach veraltetes Repertoire ... mit wenigen Ausnahmen antiquierte Spielweise ... hohles Pathos, für das unter anderem Madame Lascaris tönender Singsang verantwortlich ist ... diese Dame, der man ansonsten nur raten kann, möglichst bald vom Fach der jugendlichen Heldin – die Eve sollte ihr Letztes hier sein – in das der Königinmutter überzuwechseln ... Was sie ja schon probiert, aber eben hier: Steifes Pathos, wohin man blickt ... Oho!«
    Wieder dies Lachen.
    Das ist wirklich boshaft. Sie erinnert sich, wie empört ihre Verwandten immer über schlechte Kritiken waren. Hoffentlich kann Felice besser damit umgehen. Aber vielleicht bekommt sie ja das Blatt auch gar nicht zu sehen. Es ist schon geschmacklos genug, im Haus der Gastgeberin über sie herzuziehen.

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