Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
ein Tierchen hab ich mir schon immer gewünscht!«, verkündet sie. »Kann der auch sprechen?«
Ich lächele. »Schon, aber nur wenn er Lust dazu hat.«
In diesem Moment, wie aufs Stichwort, tut Lora den Schnabel auf und verkündet: »Lora ist lieb!«
»Gott der Gerechte! Jetzt hab ich mich beinah erschrocken! Der spricht ja wirklich!« Mit einiger Anstrengung erhebt sie sich wieder vom Fußboden und sagt: »Wollen wir ihn nicht auf den Tisch stellen?«
Nun steht das Bauer also auf dem Küchentisch. »Den würd ich am liebsten behalten!«, sagt die Laskarow, setzt sich und öffnet ohne Weiteres das kleine Türchen. Ich laufe schnell zum Fenster und schließe es, Lora soll sich nicht noch einmal verirren. Der Sittich kommt vorsichtig heraus, hebt ab und landet auf Selde Laskarows Schulter. Sie stößt einen Schrei des Entzückens aus und scheint die Luft anzuhalten, bis Lora wieder startet und sich einen schönen Platz oben auf dem Küchenschrank aussucht, von wo sie den Überblick hat.
Die Laskarow guckt mich einen Augenblick an und schweigt jetzt. Ihre Miene wird ernst.
Ich fasse nach meiner Wange. Die brennt noch. Das mit dem Vogel läuft ja sehr gut. Am besten, ich verliere keine Zeit und mache mich gleich auf die Suche nach einer Wohngelegenheit.
»Also darf ich Lora wirklich vorerst hierlassen? Ich würde mich dann gleich auf den Weg machen.«
Die Laskarow guckt mich immer noch abwägend an. Sie sagt gedehnt: »Du kannst ihn auch hierlassen für immer. Und darüber hinaus ...« Sie stockt. Und dann plötzlich, als wenn sie einen Entschluss gefasst hätte: »Puppchen, warum bleibste nicht hier und wohnst bei uns! Alles wäre viel einfacher.«
Hier? Ich schlucke.
Aber sie lässt mir jetzt nicht groß Zeit zum Überlegen und fährt mit der Autorität der Hausfrau fort: »So machen wir’s. Die alte Mädchenkammer, die steht ja nur voll unnützem Kram. Ist schejnes kleines Zimmer, sogar mit Blick nach vorn raus. Wird dir gefallen. Das räumen wir beide aus und dann ist gelöst das Problem. Richtig praktisch.«
Ich bin völlig überrumpelt. »Aber Madame, ich weiß nicht, ob das gut ist ...«
»Und ob das ist gut!«, sagt sie energisch. »Kann gar nicht besser sein.« Und am Glanz ihrer Augen sehe ich, dass sie noch einen Hintergedanken hat.
Bevor ich ernsthafte Einwände machen kann, erhebt sie sich und sagt: »Los, komm mit!«
»Wohin denn?«, frage ich begriffsstutzig.
»Na, deine Stube klarmachen!«, sagt sie ein bisschen ungeduldig.
Betäubt folge ich ihr.
Während wir beim Räumen sind, kommt auf einmal Schlomo aus seinem Zimmer (Mittags, zwischen den Proben, oder vor der Vorstellung hält er oft Ruhe.)
»Mamele, was macht ihr da?«, fragt er und unterdrückt ein Gähnen.
»Leonie zieht hier ein!«, verkündet seine Mutter strahlend.
Seine Augen weiten sich. Er sieht verblüfft von einer zur anderen. »Das ...«, beginnt er, vollendet den Satz nicht. »Das ist ja wirklich ...« Er fährt sich mit beiden Händen durch die Locken, streicht sich danach übers Kinn.
Und auf einmal sehe ich seinen heftigen Pulsschlag in der Halsgrube.
Plötzlich dreht er sich auf dem Absatz um und geht zurück in sein Zimmer. Die Tür fliegt zu. Selde Laskarow guckt ihm nach und zuckt die Achseln.
Schlagartig wird mir klar: Ich hätte das nicht annehmen dürfen. Wir beide in einer Wohnung, er und ich, Tag und Nacht dieseNähe, Tür an Tür, und morgens, wenn er aus dem Badezimmer kommt ... Das ist eine heikle Angelegenheit und wird nicht zu unserem inneren Frieden beitragen.
»Mamele« lächelt verstohlen. Natürlich, ein großartiger Schachzug aus ihrer Sicht. So hat sie uns beide ständig unter Kontrolle.
Sie vertraut fest darauf, dass wir beide nicht vor ihren Augen etwas miteinander anstellen werden, und damit hat sie nur allzu recht. Das ist ja das Problem. Deshalb ihr glänzender Blick vorhin. Ihre Menschenkenntnis ist beachtlich.
Nachdem wir das Gerümpel aus der Kammer entfernt haben, geht sie ins Bad, um sich den Staub von den Händen zu waschen, und ich räume meine Sachen ein. Und dann kommt sie noch einmal zu mir und zeigt mir den Riegel von innen. »Für die Nacht, Puppchen!« Sie denkt wirklich an alles.
Ich bin kaum zu mir gekommen, um das alles richtig zu verarbeiten. Wieder mal ein bisschen viel auf einmal. Erst der Schock mit mei nem Vater, diese Ohrfeige, und dann, ehe ich mich’s versehe, überrollt mich Mame, und ich bin noch gar nicht fähig, klar zu denken.
Ich setze mich auf
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